Schlimme Schränke, große Angst

■ „Ursula“ in der Kunsthalle: Bilder, Objekte und Assemblagen mit Pelz und Haaren / Botschaften aus dem Niemandsland

Der gewöhnliche Besucher wendet sich mit Grausen ab. Andere schwanken bis ins Mark beunruhigt durch all die bizarren Ungetüme, obsessiven Bilder und pelzigen Assemblagen. Die Aufsicht in der Bremer Kunsthalle hat indes eine andere Feststellung gemacht: Kinder, die gemeinhin quengeln und gewaltsam durch die Hl.Hallen gezerrt werden müssen, sind bei Ursula hellwach, putzmunter.

Was ist das für eine Kunst, die Kinder freut und Erwachsene schreckt? Deren Schöpferin (Jg.'21, lebt in Köln) nur unter ihrem Vornamen firmiert, wie man es aus der Kunst der Geisteskranken kennt? Ohne Zweifel kennt sich Ursula, die vornehmlich nächtens arbeitet, bestens in den Niemandsländern aus, die unsere Ratio umlagern. Und darüberhinaus.

Es sind Gespenster, Chimären, das ganze Personal unserer Albträume, die in giftigen Farben über Ursulas Bilder kriechen. Böse, lasterhafte Wesen, Monster, abstrus verzerrte Figuren. Alle immer akribisch, besessen aus winzigen Strukturen aufgebaut: aus kleinen bunten Farbpunkten oder feinsten Strichen, mit denen in der Art einer Schraffur ganze große Formate bedeckt werden. Freie, gelöste Pinselschwünge findet man nie - manisch wird jedes Bild gebaut, bis die Tafel vollformatig bedeckt ist. Ihr Mann sagt, was sie betreibe, sei „Abwehr der großen Ängste aus der frühesten Kindheit“. Wie Männer das so sagen.

Ursula, das ist immer mehr. Generationen von Kunsthistorikern haben ausführliche Texte über die Frau verfaßt, die 1950 autodidaktisch zu malen begann, nachdem sie zuvor sich als Poetin versucht hatte. Ist sie naiv? Surrealistisch? Art brut? Letzteres liegt insofern nahe, als sie wesentliche Impulse durch Jean Dubuffet erfuhr, der sie 1954 für sein Musée de „L'art brut“ entdeckte.

Aber Ursula ist auch ganz ohne Zweifel eine beängstigende Frau, die Große Dame, die Femme fatale, die in ihren Pelz-Assemblagen Rasiermesser versteckt. Die berüchtigten Pelz-Kisten: auch davon finden sich Beispiele in der Kunsthalle. Da ist einer ihrer „Pandora- Schränke“, eine Ungeheuerlichkeit aus Pelzchen, Menschenhaar-Zöpfen, ausgestopften Tieren, Pfauenfedern, komischen Köpfen... Magisch vollgesogene Objekte, die, wie das Haar, die Federn, sowohl dem Leben als auch dem Tod gehören. Gleichzeitig ist der Schrank der Pandora ein verlockendes Nest und eine verschlingende Gruft. In ihren großen Pelzarbeiten (nicht in Bremen: ihr „Pelz-Haus“, drei Meter hoch) pflegt sich Ursula für die Fotografen zu lümmeln und zeigt Bein. Bein!

Ursula (Schultze-Bluhm) ist, obwohl von der Kunstkritik nicht einzuordnen, am Markt seit langem durchgesetzt; endlos ist die Liste ihrer Ausstellungen, darunter documenta ('77), Centre Pompidou (89/90). Funkhäuser und große Museen schmücken sich mit ihren eigenartigen Bildern, die man mit ziemlicher Trefferquote als ihre erkennen kann. Dabei ist ihr Stil keinesfalls autonom; sie plündert unbefangen die Kunstgeschichte von Ensor bis Ernst, von Klee bis Kahlo, orientiert sich an sakraler Kunst ebenso wie an Ethno-Kunst aus dem Fernen Osten oder Mexiko.

„Materie und Luftgebilde feiern Feste,“ sagt Ursula, die man eigentlich nicht zitieren kann, weil sie so viel gesagt hat, daß man für jede These einen Beleg fände. Weil ihre Bilderwelt so schonungslos eigen ist, so ohne Sorge um Urteile der Fachwelt, ist sie so suggestiv; und sagt dem, der es zuläßt, einiges auch über sich. So beliebt aber ist Ursula, weil all das bunte schrille Wahre ihrer Kunst hochgradig stilisiert ist: Man kann es auch als Schmuck nehmen. Kindern sind solche Kategorien bekanntlich egal. Sie sehen in den Bildern und Objekten das Abenteuer. Burkhard Straßmann

Bis 28.Februar; ein üppiger Katalog liegt vor.