Ein Mundvoll ist kein Imbiß!

■ Von einem Bären mit wenig Verstand, einem klugen Professor, Schlafstörungen und dem Pu-Weg Ein Pu-der-Bär-Special von Burkhard Straßmann

Wenn sich ein Erwachsener bei einem Kind auf die Bettkante setzt, um ihm mit einer Geschichte die Passage ins Traumreich zu erleichtern, dann kann er viel erzählen. Eins darf ihm nicht passieren: Benutzt er eine bekannte Geschichte, darf er keine Details verändern, weder bewußt noch fahrlässig. Geschrei, Tränen, Schlafstörungen sind die Folge, wenn die Kuh einmal Liese und einmal Lotte heißt. Kinder wissen noch nicht viel, aber was sie wissen, wissen sie genau.

Neulich habe ich mir, nachdem ich 30 Jahre lang nicht mehr dran gedacht habe, das berühmte Kinderbuch „Pu der Bär“ gekauft. Ich las darin mit zunehmend heißen Ohren, bis mich ein stechender Schmerz durchfuhr (und ich schrie, Tränen kamen und dann Schlafstörungen): Die Neuübersetzung von „Winnie- the-Pooh“, besorgt durch Harry Rowohlt, hatte sich unterstanden, das Lieblingswort des dicken Bären, „a mouthful“, mit dem abscheulichen Wort „Imbiß“ zu übersetzen! Wer, wie ich, jahrelang mit dem Wort „Mundvoll“ eingeschlafen ist (Pu: „Ich denke, es ist Zeit für einen kleinen Mundvoll“), kennt meinen Schmerz.

Aus obiger Episode erhellt: Pu der Bär wischt mit einem einzigen gutmütigen Gesumm auch große Altersunterschiede wie nichts hinweg, spricht Kinder wie Erwachsene gleichermaßen, aber nicht auf die gleiche Weise an. Wobei uns Pu (und Ferkel, I-Ah, Eule...) wie niemand sonst an die Weisheit der Kinder und die Naivität der Großen erinnert.

Pu der Bär ist nicht nur der Liebling von Millionen Kindern, hat Verlage reich gemacht und und den Autor Alexander Alan Milne berühmt — Pu der Bär ist Weltliteratur voll philosphischen Tiefgangs. Ein amerikanischer Autor schrieb „The Tao Of Pooh“, ein Buch, das Pu als Gegenentwurf zum westlichen „Macher“ beschreibt.

In Bremen lebt einer der ganz großen Pu-Freunde, ein Sammler, ein Verehrer, ein milde Verrückter, für den Pu und seine Freunde, seine Redewendungen und verschlungenen Diskurse zu wirklichen Bestandteilen seines Seelenlebens geworden sind. Christian Marzahn, Professor für Sozialpädagogik, Gründungsmitglied der Bremer Uni, lange Jahre Konrektor, ist seit seiner Studentenzeit besessen. Er besitzt Pu-Ausgaben in vielen Sprachen, die auf abenteuerlichen Wegen zu ihm gekommen sind. Der taz stand er mit offensichtlichem Vergnügen Rede und Antwort.