Büffeljagd in Pasadena

Morgen raufen die Dallas Cowboys und die Buffalo Bills beim US-Sportereignis des Jahres um das goldene Ei: Super Bowl XXVII  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Die potentielle Tragik im Leben eines Footballspielers besteht darin, daß Heldentum und Lächerlichkeit so eng beieinander liegen. Das hat zum einen mit der martialischen Ausstattung der Spieler zu tun, zum anderen mit dem Objekt ihrer Begierde, einem an beiden Enden spitz zulaufenden, eiförmigen Gebilde. Dieses Design verhilft dem Football manchmal zu einem tückischen Eigenleben. Und so bietet sich in fast jedem Spiel ein anrührendes Bild männlicher Hilflosigkeit: Ein ausgewachsener Kerl, dessen ohnehin nicht zierliche Statur durch Helm, Brust und Schulterpanzer groteske Proportionen angenommen hat, versucht erfolglos die Kontrolle über das Ei wiederzugewinnen, das ihm wie ein Stück nasse Seife aus den Händen oder dem Klammergriff zwischen Arm und Brust flutscht.

So endete Marco Coleman von den „Miami Dolphins“ vor zwei Wochen im Ausscheidungsspiel gegen die „Buffalo Bills“ für das Football-Ereignis, die Super Bowl, auf der Seite der Lächerlichen. Er wollte sich mit dem Football auf und davon machen, den ein gegnerischer Angreifer gerade fallengelassen hatte. Aber das Ei wollte nicht mit. Gleiches galt für Dan Marino, Quarterback der Dolphins – jener Spieler also, der beim Angriff als Dirigent fungieren und den Ball mit möglichst genialen Pässen an seine Mitspieler möglichst weit ins gegnerische Spielfeld treiben soll. Nach einer Attacke durch die 120 Kilo Körpermasse von Verteidiger-Büffel Bruce Smith verlor Marino so abrupt die Bodenhaftung, daß er den Ball nach der bildhaften Beschreibung eines Sportreporters „wie ein Hustenbonbon ausspuckte“. Am Ende stand es 29:10 für die „Buffalo Bills“, die sich damit zum dritten Mal in Folge an die Spitze der American League gesetzt haben und morgen gegen den Sieger der National League, die „Dallas Cowboys“, im Spiel um die Football- Krone antreten.

Womit bereits ein wunder Punkt der „Buffalo Bills“ genannt ist. Zweimal stand das Team aus dem Bundesstaat New York bereits im Super-Bowl-Finale, zweimal schlichen die Spieler am Ende gesenkten Hauptes in die Kabinen. Als ewiger Zweiter geht man nicht in die Geschichte, sondern höchstens in die Statistik ein. Folglich hat das Endspiel für die Büffel um Quarterback John Kelly durchaus schicksalhafte Bedeutung.

Gelungene Revanche für den „Fang des Jahrhunderts“

Nicht so die Cowboys aus Texas, heute eines der jüngsten Teams der Liga. Der Verein war das letzte Mal 1982 in die Ausscheidungsrunde (Play-offs) vorgedrungen. Damals stand das Spiel gegen die „San Francisco 49ers“ auf des Messers Schneide, bis deren lebende Legende, Quarterback Joe Montana, mit einem wie an der Schnur gezogenen Weitwurf das Ei in die Arme seines Receivers Dwight Clark legte. Der widersetzte sich zu diesem Zweck eindrucksvoll der Schwerkraft und landete mitsamt Ball sicher in der Endzone des Gegners. Dieser Spielzug ist unter dem schlichten Titel „The Catch“ in die Annalen der Football-Geschichte eingegangen.

Die meisten Cowboys, die heute im Team stehen, waren damals dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Vor zwei Wochen merzten sie die Scharte endlich aus und schlugen die 49ers in einer Schlammschlacht in San Francisco mit 30:20. Jetzt nehmen sie genüßlich den Druck zur Kenntnis, der auf ihrem Endspielgegner aus Buffalo lastet.

Der ist jedoch zuversichtlich. „Wenn sie schon keine Straße nach mir benennen, dann wenigstens eine Schlange“, meint Thurman Thomas, Running-Back der Bills. Die Zoos von Dallas und Buffalo nämlich haben miteinander gewettet, daß der Verlierer das nächste neugeborene Tier nach dem Running-Back des Siegers benennen muß. Thomas: „Ich werde mich durch die Dallas-Defensive winden und einen Cowboy nach dem anderen verschlingen.“

Was da, eingebettet in ein gigantisches Spektakel aus Show und Werbung, morgen im Stadion von Pasadena, Kalifornien, stattfindet, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht das beste Spiel der Saison sein. Beide Teams sind seit August ununterbrochen im Einsatz und eigentlich am Ende ihrer Kräfte. Kent Hull von den „Buffalo Bills“ soll nach dem Sieg gegen Miami nicht einmal mehr in der Lage gewesen sein, nach dem Duschen sein Hemd zuzuknöpfen.

Trotzdem – auch mit müden Helden kann man Kasse machen. Die Tickets für 175 Dollar sind längst ausverkauft, die TV-Werbezeit längst vergeben: 850.000 Dollar streicht der Fernsehsender NBC pro 30-Sekunden-Spot ein. Die Super Bowl garantiert nach wie vor Rekordeinschaltquoten. Da wird es der Konkurrenz von CBS auch nicht viel helfen, wenn sie zur gleichen Zeit ihr Starmagazin „60 Minutes“ mit frauenorienterten Beiträgen ausstrahlt.

Geldregen auf Pasadena dank Martin Luther King

Ein warmer Geldregen wird auch auf den krisengeschüttelten Bundesstaat Kalifornien und vor allem auf Pasadena herabrieseln, was die Kalifornier der rassistischen Borniertheit ihrer Nachbarn in Arizona zu verdanken haben. Ursprünglich hatte die National Football League (NFL) die Ausrichtung der Super Bowl 1993 an die Stadt Phoenix vergeben – ohne zu berücksichtigen, daß Arizona zu dieser Zeit Ziel eines nationalen Boykotts war. Der Grund: Die Mehrheit der Bürger Arizonas hatte sich in einem Referendum geweigert, den nationalen Feiertag in Gedenken an Martin Luther King einzuführen. Die NFL machte schließlich einen Rückzieher, schloß sich dem Boykott an und verlegte die diesjährige Super Bowl nach Pasadena – eine Folge öffentlicher wie interner Kritik. 65 Prozent der NFL-Spieler sind Schwarze.

Kurz zuvor war die NFL ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, als 1989 wenige Tage vor der Super Bowl in Miami die Straßen im Schwarzenviertel Overtown brannten, nachdem ein Polizist kubanischer Herkunft einen schwarzen Motorradfahrer erschossen hatte. Einige Funktionäre und Spieler reagierten pikiert, als hätte ihnen jemand die Party verdorben. Vier Jahre später hat man dazugelernt. Auch in Pasadena bleibt das Endspiel von der Politik nicht unberührt. Zwanzig Meilen südlich des Stadions sind noch die Ruinen der Riots in Los Angeles vom April 1992 zu sehen. Hier hat die NFL im letzten Jahr eine „Youth Educational Town“ (YET) aufgebaut, in der ab Mai rund tausend Jugendliche ihre Freizeit verbringen können.

Die YET ist Teil eines NFL- Programms, das Schulstipendien für Jugendliche in den Städten vermittelt, in denen die Super Bowl ausgetragen wird. Außerdem will man in Zukunft garantieren, daß ein fester Teil des Wirtschaftskuchens, den das Endspiel dem Austragungsort beschert, an Unternehmen geht, deren Besitzer ethnischen Minderheiten angehören.

Es mögen Tropfen auf den heißen Stein sein – aber die direkt Betroffenen werden sie zu schätzen wissen. An den Ursachen der Probleme ändern sie nichts: während sich die Spieler der „Dallas Cowboys“ und der „Buffalo Bills“ warmlaufen, bereitet sich die Polizei von Los Angeles auf eine mögliche neue Revolte vor. Wenige Tage nach der Super Bowl beginnt der zweite Prozeß gegen jene vier Polizisten, die vor knapp zwei Jahren den schwarzen Autofahrer Rodney King halbtot geprügelt hatten und bereits einmal freigesprochen worden sind. Die Folgen sind bekannt.