Der lachende Misanthrop

■ Er macht alle FernsehgärtnerInnen zu blauen Böcken: Ein Gespräch mit dem Entertainer Harald Schmidt

Harald Schmidt wird bis mindestens 1995 mit der versteckten Kamera hantieren. Der Entertainer verlängerte in dieser Woche den Vertrag für „Verstehen Sie Spaß?“ um weitere zwei Jahre. Seine erste „Verstehen Sie Spaß?“-Ausgabe 1993 läuft am Samstag um 20.15 Uhr in der ARD.

taz: Was sagen die alten Kabarett- Kollegen zu Ihrem TV-Erfolg?

Harald Schmidt: Man schweigt und haßt.

Haben Sie keinen Kontakt mehr zu der Szene?

Doch, aber das beschränkt sich auf Floskeln. Wer sich so offen wie ich zur Prostitution bekennt, der muß in einer Branche wie Kabarett, die starke Identifikationsprobleme hat, zwangsläufig etwas außen stehen.

Wer ist Ihre Haßfigur im deutschen Fernsehen?

Wenn sie nicht so weg wäre, immer noch Lea Rosh. Aber das ist mittlerweile langweilig, denn sie findet gar nicht mehr statt.

Und die Helden?

Das sind für mich Leute wie Karl Moik, Heinz Schenk oder Gottschalk. Helden sind die, die sich jahrzehntelang zur Sahnetorte bekennen und zum Bembel. Und das durch alle Stürme, alle Kritiken, einfach durchziehen. Die Leute, die sich trotz Gameshows und Reality-TV zum Bierzelt bekennen.

Im Bierzelt sind wir das Volk?

Ja, ich glaube schon. Das tolle bei der Unterhaltung ist: Sie schlägt zurück. Wer Unterhaltung machen will, ohne sich zu bekennen, kriegt eins in die Fresse. Und das ist grandios. Gerade viele Kabarettisten denken sich doch: Hoppla, die Unterhaltung, da kann ich bekannter werden und auch noch Geld verdienen. Ich unterhalte mal ein bißchen, versuche aber ständig zu signalisieren, eigentlich mache ich was Besseres. Das funktioniert nicht. Entweder man macht Unterhaltung, und dann muß man die Spielregeln berücksichtigen, oder man läßt es bleiben. Es gibt kein Zwischending. Ich habe das am Anfang auch gedacht. Aber es geht nicht. Wer nicht bereit ist, mit Klamotten in den Swimmingpool zu springen, der sollte es besser mit der Unterhaltung bleibenlassen.

Der Balanceakt zwischen dem öffentlichen Hampelmann, der bei „Talk im Turm“ Grimassen schneidet, und dem Durchblicker, der bitterböses Dada-Fernsehen im Stil von „Schmidteinander“ und gleichzeitig die große Samstagabend-Show „Verstehen Sie Spaß?“ macht...

Meine Aufgabe ist es, in bestimmten Fernsehsituationen den Kasper zu spielen. Die Diskussion bei „Talk im Turm“ um das Thema „Macht Fernsehen blöde“ ist doch völlig sinnlos. Wenn ich da sitze und der ZDF-Intendant Stolte lügt wie ein Verwaltungsratsvorsitzender, Dieter Wedel und Iris Berben wollen die Qualität wiederbringen, Staeck ist auch bloß Staeck, und Rudorf von Bild ist ohnehin nur da, weil Mertes abgesagt hat, dann merke ich nach zehn Minuten, es war sinnlos, dahin zu gehen. Dann schneide ich Grimassen, bin der Klassenclown und störe einfach. Mir ist es dann auch egal, wenn hinterher jemand sagt, das sei zuviel gewesen. Ich spiele den Kasper, frage Rudorf von Bild irgendwelche Adorno-Zitate ab, und das macht mir Spaß.

Aber das ist nur eine Seite Ihrer öffentlichen Person.

Natürlich. Zum Beispiel ist es mir gelungen, mich in den „Musikantenstadl“ einzuschleusen und dort einen Auftritt zu haben. Ganz legal. Denn es ist für mich völlig uninteressant, Kritik am „Musikantenstadl“ zu üben. Das macht jeder Kabarettist. Ich war da.

Wie ging das?

Der Moik hat mich eingeladen. Im Rahmen der PR-Aktion zu meinem Start von „Verstehen Sie Spaß?“ fragte der Moik: „Wuiste zu mia kumme, machst a bisserl Werbung.“ Also ging ich hin im Original-„Stadl“-Outfit. Ich war in der Olympiahalle. Ich stand vor 7.000 „Stadl“-Besuchern. Das ist für mich heute Kabarett. Nämlich live, via ARD, im „Stadl“ zu sein. Nicht mich in der Kleinkunstbühne über den „Stadl“ zu echauffieren, das ist uninteressant. Da zu sein und mit Original-„Stadl“-Text zu sagen: „Ich freu' mich riesig, daß ich hier bin.“

In dem Artikel im Spiegel war eine schöne Metapher. Es stimmt, wenn da steht, ich habe mich „in Fernsehen aufgelöst“. Genau das macht mir Spaß. Ich bin ja mit dem Fernsehen aufgewachsen. Und ich benutze gerne die Floskeln, Stereotypen und Klischees, die man aus dem Fernsehen so kennt. Ich halte das für eine Kunstform. Es gibt keinen echten Menschen im Fernsehen. Fernsehen ist künstlich. Das Neue an mir ist, daß ich verschiedene Elemente zusammenmische. Ich erhebe nicht den Anspruch, eine Identifikationsfigur zu sein. Ich sage als Moderator meine Lieblingsfloskeln auf. Nicht mehr. Es ist ein Spiel.

Wie weit kann man das Spiel treiben? Und wie weit ist es von Ihnen geplant?

Alles, was ich in einer Sendung wie „Verstehen Sie Spaß?“ sage, ist rein textlich nachvollziehbar. Die Frage: Soll ich mein Jackett offen oder geschlossen tragen, die ich dem Publikum in der letzten Sendung gestellt habe, bewegt viele Zuschauer. Das sehe ich an der Post: „Bitte, behalten Sie Ihre Frisur bei, die ist o.k.“ oder „Was war das für eine Krawatte?“ Das mag für mich oder die taz-Kunden Satire pur sein, für den Samstagabendzuschauer ist die Frage „Hat der Moderator das Jackett auf oder zu?“ echt ein Thema. Was auch immer ich sage, alles richtet irgendwo Verwüstung an. Was ich sage, besitzt eine doppelte Ebene. Das schlichte Gemüt denkt: „Der Mann hat recht“, und der Rest lacht. Ich sage ja auch: „Wir von der älteren Generation hören nicht so gerne diese laute englische Musik.“ Und dann spielen wir sie.

Sie sind einer der wenigen, die in einer einzigen Sendung über geschickte Codierung verschiedene Gruppen ansprechen.

Natürlich. Was in diesem Interview in der taz steht, ist zu kompliziert für den größten Teil meiner zehn Millionen Samstagabendzuschauer. Der Zuschauer kann mit einem Begriff wie „Codierung“ nichts anfangen, sondern urteilt instinktiv. Der Zuschauer sieht bei mir zunächst einmal jemanden mit Brille und Fönfrisur. Wenn der sogenannte progressive Teil der Medien schreibt: „Zieh Dir mal eine rote Lederjacke an, Du sieht ja aus wie ein Bankangestellter!“, begreift man dort überhaupt nicht, daß es mein großes Kapital eben ist, auszusehen wie ein Bankangestellter. Weil ich zunächst mal keine Aggressionen wecke. Der Zuschauer guckt ja nicht kritisch und wach, sondern er ist müde. Der hat zwei Pils gesoffen, er hat Frust, er schaltet mal ein. Diese Formulierung, „auf verschiedenen Ebenen mit Versatzstücken arbeiten“, das sind medientheoretische Gedanken. Der Spiegel-Artikel über mich mit Begriffen wie „selbstreferentiell“, „Kybernetik“ oder „affirmativer Verstärkung“ hat ja schon viele Spiegel-Leser geistig überfordert. Plus der Neid- Faktor: „Warum schreibt der Spiegel über dieses dumme Schwein Schmidt drei Seiten. Das ist ja das Allerschönste.“ Ich war zu dem Zeitpunkt, als der Spiegel erschien, gerade im Urlaub in New York und bin durch die halbe Stadt gepilgert, um die Ausgabe zu kriegen. Und habe dann gleich im Taxi gecheckt: o.k., linke Seite großes Foto und drei Seiten Text. Weil ich nun wirklich weiß, wie in den neidischen TV-Redaktionen gelesen wird. Wenn der Spiegel über einen schreibt, ist man schon mal für lange Zeit aus der Schußlinie. Bei dem, was ich mache, sind ja auch die Redakteure bei der ARD irritiert: weil ich sowohl im Spiegel als auch in der Frau mit Herz gute Presse habe. Das irritiert die Leute, denn ich bekenne mich ja zum Medium. Ich beachte die essentiellen Spielregeln. Und wenn dann Rudi Carrell, der legendäre Rudi, mir eins in der Bild auf Seite drei vor den Latz knallt und sagt, ich sei der falsche Mann für „Verstehen Sie Spaß?“, das gefällt mir. Denn erstens ist es wunderbare Promotion, und zweitens machen mir solche Medienscharmützel einen Heidenspaß. Daß Rudi, den ich zu Hause schon im Kindergartenalter gesehen habe, nun plötzlich auf mich einprügelt, das ist großartig. Denn er prügelt nur auf Leute, die er schätzt oder die ihm gefährlich werden können. Ich verfolge auch, wie solche Kriege in Amerika verlaufen. Und da gilt es, immer im Job zu bleiben und zu versuchen, witzig zu reagieren. Mir macht das Spaß, und ich lauere immer: Was kommt jetzt noch? Ich möchte eigentlich mit 36 Jahren keine ausgewogenen Antworten mehr geben müssen.

Haben Sie manchmal Angst vor der eigenen Courage?

Das überlege ich mir nicht. Ich habe drei Pointen für die ersten zwei Minuten von „Verstehen Sie Spaß?“, der Rest besteht hauptsächlich aus den Filmen, von denen ich weiß, daß sie für diesen Samstag gut sind. So gehe ich rein in die Sendung. Dieses Mal werde ich sicher einen Witz über Honecker erzählen. Also vielleicht sage ich: „Honecker wird jetzt doch bestraft, aber die Strafe heißt nicht lebenslänglich, sondern Margot.“ Und das müßte eigentlich ankommen bei diesem Publikum. Wenn ich mir dann in der Sendung an die rechte Seite fasse und sage: „Ich habe irgendwie so einen Stich auf der Leber. Ich muß, glaube ich, mal nach Chile.“ Das kapieren dann schon wieder viele nicht. Aber ein Teil zu Hause lacht. Für mich heißt das Hauptkriterium am Samstagabend: bloß verständlich bleiben.

Also vertrauen Sie der Dynamik des Geschehens.

Die Dynamik ist im Vergleich zu früher viel geringer geworden, da ich die ganzen Kinkerlitzchen gestrichen habe: Sechs Bücher für „Willkommen Im Club“, Talkshow, Sketche schreiben. Inzwischen mache ich nur noch „Verstehen Sie Spaß?“, „Schmidteinander“ und Kabarett. Und „Verstehen Sie Spaß?“ ist die professionelle Herausforderung am Samstagabend. Das ist ja nur fünfmal im Jahr. Da kann man sich schon vernünftig darauf vorbereiten, Kritik beachten und sauber planen. Eigentlich aber ist „Schmidteinander“ mein Ding, und zwar über kurz oder lang wöchentlich. Denn dann kriegt die Sendung einen anderen Stellenwert, wird selbstverständlicher, hat nicht mehr diesen Ereignischarakter. Ich glaube, bei uns will man sich nach den „Tagesthemen“ noch amüsieren. Und da will ich hin mit „Schmidteinander“, am Freitagabend, jede Woche. „Verstehen Sie Spaß?“ mache ich jetzt so lang mein Vertrag läuft. Aber ich muß da doch zu viele Rücksichten nehmen. Der große Samstagabend ist zwar das Ziel jedes Entertainers, aber dann hakt man es ab. Wenn ich eine Samstagabendshow moderiere, hat das Gewicht, was ich sage, und ich kann auch Forderungen stellen.

Was für Forderungen?

Zum Beispiel: „Schmidteinander“ in die ARD. Das finde ich in Ordnung. Wer Forderungen stellt, der muß sich auch den Wind um die Nase blasen lassen.

Sie machen die Unterhaltung der neunziger Jahre?

Das ist nicht mein Ziel, das ergibt sich zwangsläufig. Man kann nichts mehr ernst nehmen. Alles endet zwangsläufig in „Schmidteinander“. Wenn der Papst sagt: „Ich habe mich getäuscht, die Erde ist wirklich rund“ – nach 400 Jahren — das ist doch „Schmidteinander“. Und UNO-Soldaten, die mit dem Victory-Zeichen herumlaufen, das ist doch „Schmidteinander“. Für mich wird alles immer mehr zu „Schmidteinander“. Diese Rücktrittsrede von Möllemann: „Schmidteinander“.

Was ist denn dann noch ernst?

Eigentlich nichts.

Das klingt apokalyptisch...

Man kann aus einer negativen Grundeinstellung eine sehr heitere Lebenshaltung gewinnen. Im Grunde ziehe ich aus der Gesamtsituation relativ viel Heiterkeit, da ich der Meinung bin, daß es den meisten Leuten bei uns ja sehr gut geht – im Weltvergleich: Jugoslawien, Somalia, dreißig Millionen Amerikaner ohne Krankenversicherung. Unser Problem ist es doch, das Meißener Porzellan für das Gebiß nicht mehr bezahlt zu bekommen. Es geht doch um Porzellanabstufungen bei uns. Wenn man sich das vor Augen hält, kann man auch in der Fernsehunterhaltung anders zu Werke gehen.

Der lachende Misanthrop?

Würde ich sagen, ja.

Ist es heute nicht egal, was gezeigt wird: Ob Teresa Orlowskis Pornos, die Tagesthemen, „Schmidteinander“ oder der Bericht aus Bonn – alles Unterhaltung?

Es ist natürlich nicht egal, was gezeigt wird. Nur: Die Diskussion ist seitens der Macher heuchlerisch. Natürlich prägt es die Kinder, wenn sie mit Gewaltvideos aufwachsen. Aber, so knüppelhart es ist, von den Sendern wird bloß das produziert, was der Zuschauer haben will. Und wenn die meisten Zuschauer wirklich „Zersäg mich in der Lederhose“ sehen wollen, dann wird „Zersäg mich in der Lederhose“ gesendet. Und alle überlegen: Wie kann ich „Zersäg mich in der Lederhose“ am besten als Serie ins Vorabendprogramm bringen? Und wenn dann die Diskussion draufkommt, ist es entweder ein „Märchen für Erwachsene“, oder es heißt: „Das ist auch ein Stück weit Spiegel unserer Gesellschaft.“ Aber letzten Endes geht es nur darum, was die höchsten Einschaltquoten bringt. Vor einem solchen Hintergrund kann ich in „Talk im Turm“ und seiner verlogenen Debatte über die Qualität des Fernsehens doch nur noch Grimassen schneiden und „Einspruch!“ schreien – Pennälerlevel. Ich hätte es mich vor einer Weile nicht getraut, ich hätte auch pseudowichtige Statements von mir gegeben. Aber mittlerweile ist es mir völlig scheißegal. Und wenn sich jemand aufregt, sage ich eben: Dann ladet mich doch nicht mehr ein!

Fast alle erfolgreichen Moderatoren sind den Öffentlich-Rechtlichen von den privaten Sendern weggekauft worden. Spielen Sie mit dieser ständigen Drohung?

Nein, denn ich bin bei den Öffentlich-Rechtlichen besser aufgehoben. Die Privaten würden eine Sendung wie „Schmidteinander“ gar nicht riskieren.

Aber wenn sie Einschaltquoten hat?

Dann kaufen sie die Sendung weg. Aber sie würden eine solche gewagte Sendung nicht entwickeln. Ich sehe mich jedenfalls nicht bei den Privaten.

Sind Sie ein Medienjunkie?

Absolut. Meine Pointen kommen ja meist aus Mediengeschichten, aus Versatzstücken, aus den Klischees und Floskeln, die von Medien transportiert werden. Ich lese alles, was mir in die Hände kommt, besonders gerne Stepanovic-Interviews: „Habe neue Mann bracht, batsch, habe gewonne.“ So ist es doch, „Hattu keine neue Mann, hattu nix gewonne.“ Man kriegt da einen Blick für den kleinen Wahnsinn. Ich las zum Beispiel den Wissenschaftsteil der FAZ, und da stand die Überschrift: „Promiskuität bei Kreuzottern“. Das ist so krank. In Jugoslawien werden Kindern die Augen ausgestochen, und gleichzeitig gibt es Forscher, die sich mit der Promiskuität bei Kreuzottern beschäftigen. Wer braucht das? Auf der anderen Seite: Wer braucht es nicht? Ich sauge Informationen auf, sammele sie, verbinde sie auf meine Art neu, werfe sie zurück und gebe so gesellschaftliche Befindlichkeiten Anfang der neunziger Jahre wieder; all dieses Pseudowissen, das kursiert. Besonders fürchterlich ist ja – egal, ob im Kabarett oder im Fernsehen – der Teil des Publikums, der nach Anspruch lechzt. Wenn ich aber den Anspruch mal so richtig hochschraube, ist es aus. Anspruch heißt bei diesen Leuten zu hören: Lafontaine ist Lebensfreude, und Kohl ist spießig.

Sammeln Sie Ihre Kritiken?

Ich schneide sie aus und schicke sie meinem Vater zu. Der heftet alles ab. Es ist sehr interessant, eine Art Archiv zu haben. Das relativiert alles. Ein solches Archiv läßt einen nichts mehr allzu ernst nehmen. Interview: Christoph Becker