Sammler läßt Porzellan zerschlagen

■ „Utz“, ein Film von George Sluizer

Sammeln ist eine Leidenschaft, die sich schnell ins Uferlose steigern kann, Filmemachen auch. Der bedachte Sammler setzt sich eine Grenze, die seiner Sammlung eine Struktur und ihm die vage Sicherheit gibt, seine Passion nicht zur vollkommenen Manie werden zu lassen. Armin Mueller-Stahl spielt den Prager Sammler Baron Kaspar Joachim von Utz. Er sammelt nur Meissener Porzellan und beschränkt sich dabei auf Figuren. Kein Geschirr, keine Vasen. Der holländische Regisseur George Sluizer sammelt Bilder. Darin ist er wahlloser als sein Sammler im Film. Damit macht er sich zum Gefangenen der Beliebigkeit. Die Szenen fügen sich nicht zusammen. „Utz“, der Film nach dem gleichnamigen Roman von Bruce Chatwin, bleibt leider nur eine Ansammlung.

„Die Geschichte war immer auf der Seite der Sammler“, erklärt Utz dem amerikanischen Galeristen, der sich verblüfft davon überzeugt, wie hochkarätig und vollständig die Porzellanfiguren-Ausstellung in seinem Wohnzimmer ist. Der Prager Sammler hat es außerordentlich raffiniert verstanden, das wechselvolle Schicksal seines Landes für die Suche nach wertvollen Stücken zu nutzen. In den dreißiger Jahren waren es die Juden, die sich auf der Flucht vor den Nazis von ihrem Besitz trennen mußten; nach dem Krieg flohen die Besitzenden vor den Kommunisten, und auch sie brauchten Geld. In verschachtelten Rückblenden kreist der Film um die Frage, wohin ein Leben führt, das so zentral auf das eine Ziel ausgerichtet ist: möglichst komplett zu sein. Als Utz über tausend Figuren in seinem Zimmer untergebracht hat, ahnt er, daß er in einer selbstgebauten Falle sitzt. Sein Lebenszweck, der außer in Meissener Porzellan nur noch in einer ebenso verschrobenen Vorliebe für füllige Operndiven bestand, ist dahin. Utz lebte für seine Sammlung, jetzt braucht sie ihn nicht mehr. Und vor der Tür steht schon das staatliche Museum, um ordentlich abzustauben. Sammeln als Sackgasse.

Vielleicht muß man manche Filme heutzutage so ansehen, wie man eine Schallplatte anhört: Immer seltener erfüllt sich die Erwartung, ein homogenes Produkt zu erstehen, das gegenüber dem kritischen Urteilsvermögen als Ganzes bestehen kann. So auch „Utz“: Wie bei einer Platte einige wenige Musikstücke, kann man sich hier ein paar Szenen herauspicken, die intensiv genug sind, um isoliert wirken zu können, zum Beispiel das Essen des Sammler-Barons mit dem amerikanischen Galeristen in einem Prager Restaurant, in dem die noch herrschende Nomenklatura bevorzugt behandelt wird. Da die Forelle für Funktionäre reserviert ist, wollen die Herren Karpfen bestellen. Der ist in der Speisekarte für die amerikanischen Touristen sogar auf englisch ausgedruckt. Allerdings hat der Setzer zwei Buchstaben vertauscht und aus dem „Carp“ etwas weniger Appetitliches gemacht: „Crap“, schlicht Scheiße. Über diesen Lapsus platzt aus den Tischgästen all der angestaute Unmut über die sozialistische Gesellschaft heraus – belustigt bestellen sie beim Kellner „Crap à la Juive“. Eine Anekdote, eine von vielen liebevollen Beobachtungen. George Sluizer reiht sie aneinander wie Perlen auf eine Schnur. Beobachtungen ohne echte Leidenschaft. Auch das unterscheidet ihn von einem echten Sammler.

Armin Mueller-Stahl spielt den Meissen-Millionär zurückhaltend; zum Glück ist er zwar hingebungsvoll, aber keineswegs so besessen oder neurotisch, wie man sich den vernarrten Kunstliebhaber gemeinhin vorstellt. Für Baron von Utz ist Sammeln Leben. Als er im Sterben liegt, hat auch die Sammlung ihren Zweck verloren. Utz läßt seine Haushälterin die Meissener Figuren zerschlagen. Der Sammler ist Egoist. Er sammelt für sich, nicht für die anderen. Für die Darstellung des stoischen, beharrlichen Kunstfreundes erhielt Armin Mueller-Stahl im vergangenen Jahr in Berlin den Silbernen Bären. Mit Gespür für die humorvollen Seiten der tragischen Figur Utz rettet er den Film davor, vollends auseinanderzubrechen und nichts mehr zurückzulassen außer einem Haufen voller Scherben – jede für sich glänzend, aber in ihrer Zersplitterung allenfalls eine Ahnung erzeugend, wie das Ganze hätte aussehen können. Christof Boy

George Sluizer: „Utz“. Deutschland/England/Niederlande 1991. Mit Armin Mueller-Stahl, Brenda Fricker, Peter Riegert