AKW vor Wiederbelebung

■ Bundesverwaltungsgericht urteilt im März über Reaktor Mülheim-Kärlich

Berlin (taz) – Das seit 1988 eingemottete Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich in Rheinland–Pfalz erlebt möglicherweise einen zweiten Frühling. Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin unter seinem Präsidenten Everhardt Franßen scheint entschlossen, einer Revisionsklage des Betreibers RWE gegen die Stillegung stattzugeben. Das ergab die gestrige Verhandlung. Am 11. März wollen die Richter ihre Entscheidung verkünden.

Das höchste deutsche Verwaltungsgericht hatte den 1.300-Megawatt-Druckwasserreaktor im Herbst 1988 nach nur einjährigem Betrieb selbst ausgeknipst. Hintergrund für die spektakuläre Entscheidung waren seinerzeit lange zurückliegende Absprachen zwischen den Betreibern und der rheinland-pfälzischen Regierung als Genehmigungsbehörde, in deren Folge der Meiler nach einem anderen Konzept und an einem anderen Standort errichtet wurde als er zuvor (1975) genehmigt worden war. Wegen eines „Ermittlungs- und Bewertungsdefizits“ erklärten die Berliner Verwaltungsrichter die entscheidende erste Teilgenehmigung (TG) deshalb für „insgesamt rechtswidrig“. Mit einem neuen Anhörungsverfahren und einer nachgeschobenen „1. Teilgenehmigung (neu)“ wollte die damals noch CDU-geführte Landesregierung die Fehler der Vergangenheit „heilen“. Gegen dieses Vorgehen klagten erfolgreich die Anliegergemeinden Neuwied und Mayen vor dem OVG Koblenz, was wiederum die Revisionsklage der Betreiber auslöste.

Im Zentrum der Verhandlung stand gestern die Frage, ob die nachgeschobene TG ausreicht, um die entstandene „Regelungslücke“ zu schließen, oder ob das gesamte Genehmigungsverfahren – mit insgesamt acht weiteren Teilgenehmigungen – wiederholt werden müßte. Frühere Klagen gegen diese TGs hatten die Gerichte unter Hinweis auf die erste, inzwischen als „rechtswidrig“ erkannte TG teilweise nicht zugelassen. Ergebnis sei, so die Vertreter der Stadt Neuwied, Professor Raimund Wimmer und Reiner Geulen, eine „Rechtsschutzlücke“, die nachträglich nicht geschlossen werden könne.

Gerichtspräsident Franßen stellte dennoch den Rückzug vom Stillegungsbeschluß aus dem Jahr 1988 in Aussicht: Damals sei der Senat durch Urteile der unteren Instanzen gebunden gewesen. Dies sei nach der Erteilung der „1. Teilgenehmigung (neu)“ nicht mehr der Fall. Die Sicherheit des massiv erdbebengefährdeten AKWs Mülheim-Kärlich, das nach Auffassung aller Experten heutigen Sicherheitsstandards für Neuanlagen nicht mehr genügt, spielte während der Verhandlung keine Rolle. Gerd Rosenkranz