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Angeln im atomverseuchten Fluß

Rußlands Regierung legt ein Hilfsprogramm auf für 400.000 Menschen, die im Ural durch die Atombombenproduktion Majak verstrahlt wurden  ■ Von Donata Riedel

Moskau/Berlin (taz/AP) – Nach fünf Stunden an den Ufern der Tetscha hat eine Spaziergängerin die Strahlendosis abbekommen, die einem AKW-Beschäfigten hierzulande während seines ganzen Arbeitslebens zugemutet wird. In den 50er Jahren diente der verstrahlte Fluß im Ural den Anrainern außer zum Spazierengehen als Trinkwasserreservoir, als Badestelle und Angelparadies. Für die Direktoren der Atombombenfabrik Majak am Oberlauf der Tetscha war der Fluß ganz einfach eine Müllkippe. Bis zu 400.000 Menschen in der Region um Tscheljabinsk, Jekaterinburg und Kurgan sind so über Jahrzehnte hin verstrahlt worden (s. taz v. 11.5.91).

Erst unter Jelzin machte die Regierung mit Glasnost ernst, informierte die Strahlengeschädigten und legte – in dieser Woche – erstmals ein Hilfsprogramm für die Region auf. Gleichzeitig berichtete in Moskau ein Direktor des KGB- Nachfolge-Geheimdienstes SWR offen über die verheerenden ökologischen Folgen des sowjetischen Atombombenprogramms. Etwa vier Millionen Quadratkilometer der Fläche der einstigen UdSSR seien wegen Radioaktivität heute unbewohnbar. Die russische Regierung will für das Hilfsprogramm 11,7 Milliarden Rubel (fast 20 Millionen DM) aufwenden.

Das Leiden der Bevölkerung begann 1949, als der erste von später fünf Atomreaktoren des Tschernobyl-Vorläufertyps in Betrieb genommen wurde. Beim Einleiten des Abfalls in die Tetscha dachte man damals, daß die Radioaktivität ins Meer hinweggespült werde. Fälschlicherweise, wie man heute weiß. Laut Moskow News wurden durch die Majak-spezifische Atommüllentsorgung 124.000 Menschen verstrahlt, 28.000 von ihnen stark. Erst drei Jahre später begannen die Militärs, 8.000 Menschen von den Flußufern zu evakuieren.

Diese 8.000 mußten 1957 zusammen mit weiteren 3.000 erneut umsiedeln: In Majak war ein Behälter mit Atommüll explodiert. Nach Informationen der (atomkraftfreundlichen) GSF-Gesellschaft für Umweltforschung, deren Delegation im Juni 1992 gemeinsam mit Beamten des Bundesamts für Strahlenschutz nach Tscheljabinsk reiste, lagern auf dem Gelände der Atombombenfabrik heute noch 200 weitere derartige Behältnisse. Nach der Explosion von 1957 seien 120.000 Menschen verstrahlt worden, die in dem Strahlengürtel von 30 Kilometern Breite und 100 Kilometern Länge lebten, sagte GSF-Sprecher Heinz-Jörg Haury. Die Moscow News berichtete demgegenüber von 270.000 geschädigten Menschen.

1967 verschlimmerte eine Trockenperiode die Situation im Ural noch: Nachdem ein künstlich gestauter Strahlensee ausgetrocknet war, verbreiterten Sandstürme den Gürtel auf 50 bis 60 Kilometer.

Die deutschen GSF-Wissenschaftler wollen heute zusammen mit ihren russischen Kollegen die Daten zur Gesundheit der Bevölkerung sichern und auswerten. Sie seien von unschätzbarem Wert für die Strahlenrisikobewertung, so Haury – auch wenn er das Unglück der Menschen bedauere. Nirgends sonst wurden schließlich Menschen über einen so langen Zeitraum radioaktiver Strahlung ausgesetzt.

Die deutschen Wissenschaftler bieten Hilfe auch für die Sanierung an. Denn selbst stillgelegt (seit 1991) ist die Atomfabrik eine Zeitbombe. Weil ein Abtransport viel zu gefährlich und zeitaufwendig wäre, ist in Majak ohne vorherige Bodenuntersuchungen quasi automatisch ein überirdisches Endlager entstanden – vor dem die Bevölkerung geschützt werden muß.

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