piwik no script img

Kriegsgeschrei unter der Lupe

■ John Dew, der radikale Opernerneuerer, inszeniert Verdis Aida an der Hamburg Oper (Premiere 7. Februar) / "Krieg" als das zentrale Moment des Erfolgsstückes

INTERVIEW

Kriegsgeschrei unter der Lupe

John Dew, der radikale Opernerneuerer,

inszeniert Verdis Aida an der Hamburg

Oper (Premiere 7. Februar)/„Krieg“ als

das zentrale Moment des Erfolgsstückes

Sie haben einmal gesagt, es sei das Ziel Ihrer Arbeit, Botschaften von Komponisten zu übersetzen und für ein heutiges Publikum verstehbar zu machen. Wenn Sie das auf Aida beziehen, wie würden Sie sagen, lautet diese Botschaft?

Aida ist ein Stück über Krieg. Über Menschen, die in den Krieg verwickelt sind. Keiner dieser Menschen ist ein Bösewicht. Es sind alles Menschen, die ihre Rolle erfüllen innerhalb eines Systems. Und wenn am Ende der Held des Stükkes, Radames, der eigentlich die blasseste Figur ist, verdammt wird zu sterben, dann ist das ein notwendiges Übel innerhalb des Staatssystems. Die Frage ist, ob das Staatssystem das Recht hat, diesen Tod zu fordern, beziehungsweise, ob es das Recht hat zu existieren, wenn es das nur kann, wenn Leute dafür sterben müssen?

Nehmen Sie diese Frage in Ihrer Inszenierung auf?

Ja, ja. Es gibt da kein Drumherum, zumindest nicht, wenn man es ernsthaft nimmt. Das bringt uns natürlich zu der klaren Frage des Kriegerdenkmals am Dammtor, das auch erscheint. Denn da ist ja diese Aufschrift: Wir müssen sterben, damit Deutschland lebt. Und eigentlich ist das der Witz des Stükkes. Radames muß sterben, nicht, weil irgendjemand eifersüchtig oder böse war, es ist ein Teil des Systems, daß er stirbt. Und er weiß es und geht ruhig in den Tod, weil er ein Geschöpf des Systems ist.

Wie gehen Sie mit der Kriegsbegeisterung in Aida um?

Verdi war ein Nationalist und was auch sehr wesentlich für das Stück ist, er war antiklerikal, er war exkommuniziert. Dieser Nationalismus und Krieg klingt für mich, und jetzt bewegen wir uns natürlich in musikalischen Bereichen, die etwas nebelig sind, pathetisch und nicht unbedingt positiv. Und selbst wenn er es positiv gemeint hat, was wir aber aus seinen Briefen wissen, daß er es nicht positiv gemeint hat, dann hat es uns eigentlich nicht zu interessieren. Wenn nun ein Drittel des Stückes um Kriegsgeschrei geht, dann haben wir heute wirklich die Pflicht, das unter die Lupe zu nehmen.

Wie geschieht das?

Das ist schwer zu sagen. Wir haben die Bühne zum Beispiel bevölkert mit roboterähnlichen Beamten, die offensichtlich die Regierungsmacht haben, mit jungen Soldaten, die freudig in den Krieg gehen, um ihren Machismo zu zeigen. Wir zeigen auch sehr deutlich die unverbesserlichen Frauen, die zurückbleiben und herummarschieren nach dem Krieg, wenn die Toten zurückkommen. Wir haben auch dieselben Soldaten, die zurückkehren und gebrochene Menschen sind. Und Soldaten, die wahrscheinlich gar nicht im Krieg waren, aber herumtanzen in den Siegesfeiern mit den Frauen der Beamten, also da ist schon ein satirischer Hang in dem Stück.

Wie verträgt sich das mit der pathetischen Musik, mit den vielen Märschen und Chören?

Man stellt zum Beispiel das Triumphbild, wenn man es positiv darstellt, in einen satirischen Rahmen, dann ist das schon gegeben.

Ist das kein Bruch zwischen Musik und Bühnengeschehen?

Ich sehe das nicht so, weil egal nach welchem Krieg, es ist immer so: Die Obrigkeit feiert, und zwar auch mit pompösen Musiken, und die einzigen die nicht feiern, sind die Leute, die abgefunden werden mit einer Blechmedaille oder die

1Krüppel sind oder noch schlimmer, die nie zurückkommen. Und die versuchen wir, auch zu zeigen.

Spielt der Nahe Osten als Krisengebiet in Ihrem Inszenierungskonzept irgendeine Rolle?

Nein. Ich finde in diesem Fall würde das eine Einengung sein, die nicht richtig ist. Der allgemeine Begriff ist das Wesentliche und ich bin überzeugt, daß Verdi das auch so gemeint hat.

Haben Sie den Wunsch, einen pazifistischen Duktus in die Geschichte zu bringen?

Das Stück endet mit den Worten „Frieden, Frieden“ und das ist eigentlich für mich der Ausgangspunkt. Aber es kann auch daher

1rühren, daß ich mich in den letzten Jahren sehr beschäftigt habe mit den Großen Opern französischer Prägung, und Verdi liebte dieses Genre und sagte sehr offen, daß Aida im meyerbeerschen Sinne komponiert worden ist. Und bei Meyerbeer und Halévy sieht man eine ganz spezifische Wendung, die auch von den ernsteren Musicals der Nachkriegszeit angewandt wird. Das Rezept ist, man nehme ein sehr ernstes Thema und davor entwickelt man glaubwürdige Menschenschicksale. Sei es Revolution

1in Der Prophet, sei es Antisemitismus in Die Jüdin oder der Krieg in South Pacific, das alles wäre eigentlich unannehmbar für das Publikum, wenn es nicht verpackt wäre in ein menschliches Schicksal, das einem an der Seele rührt. In dieser Rührung liegt der Schlüssel zum Erfolg der Oper.

Wie gehen Sie mit den Erwartungen des Publikums um?

Aida ist ein Stück wie Carmen, also schon eine Putzfrau weiß, wie das aussieht. Deswegen mache ich nur ein, höchstens zwei sogenannte Repertoire-Stücke pro Jahr. Mein Hauptgewicht liegt im Unbekannten, und da bringt das Publikum nur Neugierde mit. Natürlich jeder 1

2glaubt, daß Aida ein Schinken ist mit Massen und komischem ägyptischen Zeug, mit Tempelhuren und ich weiß nicht was allem Möglichen. Wenn man so naiv ist, daß man das erwartet von einem Kunstwerk, dann ist man natürlich enttäuscht. Auch in der Oper muß man sein Gehirn mitbringen.

Wie behandeln Sie die Frauenrollen? Aida ist ja schon eine typische Ausführung des „Schwachen Geschlechts“, sehr wankelmütig, nur ihren Gefühlen folgend. Sie verabschiedet Radames mit „Als Sieger kehre Heim“, obwohl er gegen ihr eigenes Volk kämpft, später läßt sie sich von ihrem eigenen Vater zum Verrat überreden.

So schwach kann sie nicht sein, da sie mit Argumenten gegen ihren Vater kämpft, und zweitens, und das ist es vielleicht, wo die Kühle in das Stück hereinkommt, ihren ehemaligen Liebhaber wirklich in die Falle lockt. Das fängt bei uns schon ganz am Anfang an: Aida lauscht immer. Da gibt es Sachen, die man einfach nicht ernst nimmt, wenn man fünf Sänger vor den Chor stellt. Warum ist Aida mittendrinnen wo der Feind seine intimsten Beratungen hat? Das muß doch einen Sinn haben. Warum ist ihre Stimme immer getrennt geführt? Sie muß doch versteckt sein. Ist sie Spionin? Ich habe immer gedacht, das einzige Äquivalent für Aida sind diese ganzen Bundestagssekretärinnen, die wir hatten, als es die DDR noch gab.

Wie verarbeiten Sie die Kategorie des „Wahren“ bei Verdi, die uns ja heute eher suspekt ist? Nehmen Sie den grundsätzlichen Wandel in der Geisteshaltung zwischen zwei Epochen in Ihre Arbeit auf?

Ja. Ich muß es. Deswegen sage ich, man muß, wenn wir überhaupt diese Stücke verstehen wollen, wenn wir sie nicht nur als abstrakte Bilder genießen wollen, dann müssen wir sie irgendwie in unsere Zeit retten, um im Geiste der Arbeit zu bleiben. Geist ist wesentlicher als Buchstabe.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem Dirigent Eliahu Inbal? Arbeiten sie an einer gemeinsamen Interpretation, oder wirken sie mehr parallel?

1Diese vielgepriesene Arbeit zwischen Regisseur und Dirigent gibt es eigentlich nicht. Im Grunde sind Dirigenten seltenst interessiert. Ich muß sagen, daß sich Inbal die ersten Proben angeschaut hat und glücklich war darüber und auch gesagt hat, er hätte gerne eine gewisse Härte hereingebracht, die der Inszenierung entspricht. Aber vielmehr Kontakt gibt es nicht, und das ist schon positiv. Die Wirklichkeit ist so weit entfernt von irgendeiner Zusammenarbeit. Also ignoriere ich es ein bißchen.

Wie arbeiten Sie? Haben Sie ein völlig festes Konzept, oder variieren Sie nach den Gegebenheiten.

Ich reagiere sehr stark auf die Sänger und über die Jahre habe ich gelernt, ich bin am glücklichsten, wenn ich einem Sänger nichts vormachen muß. Ich will sehen, daß jeder Darsteller innerhalb des Skelettes sein eigenes Fleisch macht und da wird er am überzeugendsten.

Wie arbeiten Sie dann mit den schauspielerischen Defiziten der Sänger?

Sänger sind überhaupt nicht so schlechte Schauspieler. Sie sind meistens nur daran gehindert. Darum muß man den psychologi-

1schen Schlüssel für jeden Sänger finden. Die sind noch verletzlicher als Schauspieler, und sie werden sehr oft verletzt, weil die machen ihr ganzes Leben mit zwei kleinen Muskeln. Gott hat denen in den Rachen gespuckt und das ist es. So muß man sofort versuchen herauszubekommen, welche Angst, welchen Vorteil haben sie. Und wenn das ganz ruhig ist, dann können sie tolle Leistungen bringen. Ich muß sagen, ich habe bis jetzt bei Verdi immer versagt, aber ich habe einen Hoffnungsschimmer, daß es hier funktioniert. Ich habe immer Probleme gehabt, diesen Grad der Ruhe bei den Sängern zu bekommen, was ich mit Leichtigkeit, sagen wir, bei Wagner bekomme. Und ich glaube, Verdi ist ein bißchen Schuld daran. Verdi ist sehr schwer zu singen.

Warum inszenieren Sie nie Sprechtheater?

Vielleicht kommt bald was. Aber ich sage immer, die Musik fehlt mir. Ich gehe von Musik aus, nicht vom Text. Aber ich würde sehr gern. Vielleicht kann Herr Flimm mich gebrauchen. Was er damals in Köln gemacht hat, hat mir sehr viele Impressionen gegeben. Fragen: Till Briegleb

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen