Angsträume.

■ Frauen gehen Tag- und Nachtwege: In der Stadtplanung fehlt der weibliche Blick

Angsträume.

Frauen gehen Tag- und Nachtwege: In der Stadtplanung fehlt der weibliche Blick

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Eine Frau kann überall überfallen werden. Jederzeit. Und am gefährdetsten sind Frauen dort, wo sie sich am sichersten fühlen: zu Hause, im Bekanntenkreis. Ein bis zwei Drittel aller Vergewaltiger waren den Opfern zuvor mindestens flüchtig bekannt. Dennoch gibt es in jeder Stadt Plätze und Straßenecken, die Frauen nachts meiden: Die Fußgängerunterführung, in der jeder Schritt widerhallt, als sei da ein Verfolger. Den Park. Die öde, verlassene Straßenbahnhaltestelle, abgeschirmt von mannshohen Büschen: Angsträume.

„Frauen gehen Tag- und Nachtwege“, stellte die Stadplanerin Meike Austermann-Frenz kürzlich in einer Veranstaltung des Frauenbildungszentrums belladonna fest: „Tagsüber erscheinen viele Räume relativ sicher oder ungefährlich, nachts werden sie häufig unbewußt vermieden.“ Manche alte Frauen fänden es schon normal, daß sie im Winter nach sechs das Haus nicht mehr verlassen. Daß es so viele Orte gibt, die Frauen bedrohlich erscheinen, wertet die Architektin als Indiz dafür, daß in der Stadtplanung der „weibliche Blick“ fehlt. „Von 320 niedergelassenen Architekten in Bremen sind 22 Frauen.“

Gibt es tatsächlich Tatorte, an denen häufig Überfälle stattfinden? Sollen Frauen fordern, Büsche und Hecken zu kappen, weil nachts hinter ihnen der Täter lauern könnte? Sollen sie mit dem Auto zum Kino fahren, obwohl sie als Ökos Sturm gegen die Autolobby laufen? Fragen, die sich auch die fast hundert Frauen, die zu der belladonna-Veranstaltung erschienen waren, stellten.

„Buschhöhen und Zugänge zu Parkplätzen sind nicht mein Thema“, erklärt Heidrun Mössner, Mitarbeiterin bei Schattenriss. Und zu Hause bleiben sei erst recht keine Lösung. Nach Jahren des Zögerns hat sie einen Selbstverteidigungskurs besucht. Und schwört jetzt auf die offensive Art der Angstbewältigung: „Einmal mit dem Hacken dem Mann auf den Mittelfuß treten“ — und der Fuß ist kaputt. Also Gegengewalt als Antwort auf den „Kriegszustand“, in dem die Frauen nach Meinung der SPD-Abgeordneten Anne Albers leben? „Ich will nicht ständig auf dem Sprung sein müssen und ich will das auch nicht für meine Töchter“, widersprach eine Mutter. Doch das diffuse „Paß auf“, das Mütter ihren Töchtern mit auf den Weg geben, schüre die Angst noch, hielt Heidrun Mössner dem entgegen. Da Angst ein Gefühl ist, das lähmt, forderte sie Strategien gegen die Angst: Wichtiger noch als der Selbstverteidigungskurs seien Übungen in Selbstbehauptung. In Schule und Kindergarten müßte sie für Mädchen zum Pflichtfach werden.

Es geht um den Begriff der Sicherheit, faßt Planerin Ulrike Lichtenfeld die Diskussion um Städteplanung aus weiblicher Sicht zusammen. Sie selbst hat im Umweltressort lange fafür gekämpft, nicht „nur“ die ökologischen Belange, sondern auch die Frauenstandpunkte vertreten zu dürfen. Sicherheit, beispielsweise die Verkehrssicherheit, genieße in dieser Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Frauen müßten die Sicherheit für sich selbst offensiver einklagen, fordert die Planerin.

Und was wäre zu tun, damit Frauen sich in der Stadt sicherer fühlen? Manches ist ganz einfach, meint die Grüne Maria Spieker: Eine Notrufsäule an einsamen Haltestellen, beispielsweise. Viele Täter ließen sich schon durch die heulende Alarmsirene abschrecken. Und warum kann die BSAG ihre Busfahrer nicht anweisen, nachts auf Handzeichen auch alleingehende Frauen mitzunehmen, die gerade nicht an einer Haltestelle stehen? Andere Fälle sind verzwickter, Sicherheit ist schließlich auch ein subjektives Empfinden, gibt Architektin Meike Austermann zu bedenken: Mehr Licht an Haltestellen besipielsweise nehme vielen Frauen die Angst, andere wiederum fühlten sich so angestrahlt „wie auf dem Präsentierteller“. Damit in Zukunft weniger an den Frauen vorbeigeplant wird, forderten Städteplanerinnen und Politikerinnen die Bildung eines Frauenbeirates in Bremen, der sämtliche Bauvorhaben auf die speziellen Belange der größeren weiblichen Hälfte der Bevölkerung überprüft. Diemut Roether