Richtig flippig war er nie

■ Schröders Herausforder Christian Wulff: Integer, offen, wertkonservativ

Erwartungsvolle Blicke, Beifall. Da kommt er, der Bill Clinton der niedersächsischen CDU. Christian Wulff, 33jähriger Anwalt aus Osnabrück, soll bei den Landtagswahlen 1994 als Spitzenkandidat gegen Gerhard Schröder antreten und die Union aus den Niederungen eines 30-Prozent-Ergebnisses herausreißen. Am Samstag hat der Landesparteitag seine Kandidatur mit überwältigender Mehrheit bestätigt.

Die Junge Union, deren Landesvorsitzender er einst war, kreierte den kühnen Vergleich mit dem amerikanischen Präsidenten. Eines immerhin ist beiden gemein: Als sie sich aufmachten, um nach den Sternen zu greifen, kannte sie kaum einer. Doch schon eilt Wulff das Image des Hoffnungsträgers voraus.

Auch in der niedersächsischen Kreisstadt Verden sorgte er für einen vollen Saal. Nach seiner knapp einstündigen Rede umringten ihn junge Parteimitglieder. Eine pensionierte Lehrerin, die ihn noch aus seiner Zeit als Schülersprecher in Osnabrück kennt, muß ihm unbedingt die Hand schütteln. Jetzt ist er geschafft. Das war der dritte Termin nach einem Besuch bei der Syker Kreiszeitung und einer Gesprächsrunde mit Wirtschaftsvertretern.

Er bestellt ein Glas Milch und Vanilleeis mit Himbeersoße. Das paßt zum Bild des braven jungen Mannes wie der blaue Blazer, der korrekte Haarschnitt und das freundliche, offene Gesicht. Er sei die Freude jeder Schwiegermutter, hatte eine Hannoversche Zeitung geschrieben.

„Eine wirklich flippige Phase habe ich nie gehabt“, bekennt er zwischen Milch und Eis. „Ich habe immer ausgesprochen positiv zu diesem Staat gestanden.“ Aber, betont er, Kontakte zu Andersdenkenden, zur alternativen Szene, zur Frauenbewegung, zu den Grünen, seien ihm immer sehr wichtig gewesen. Da sieht er Berührungspunkte zu Clinton, neben den seine Parteifreund ihn so gerne stellen. Dessen „kommunikativer Stil“ beeindruckt ihn. Den will auch er pflegen. Dazu gehört, daß er als Osnabrücker Ratsvorsitzender auf dem Bundeskongreß der Homosexuellen sprach. Für seine konservativen Parteifreunde eine Provokation. Die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften mit der heterosexuellen Ehe lehnt der überzeugte Katholik Wulff jedoch strikt ab.

Er rühmt sich seiner guten Kontakte zu den Osnabrücker Grünen und seiner Mitarbeit als einer von drei Männern im Bundesausschuß Frauenpolitik seiner Partei, wo er sich vor allem um die gesellschaftliche Akzeptanz von Teilzeitarbeit für Männer bemühe.

Und dann ist da der wertkonservative Christian Wulff, der auf jeder Versammlung „Leistung und Verantwortung statt Anspruchsdenken und Staatsversorgung zum Nulltarif“ einfordert. „Ich weiß, das ist altmodisch“, pflegt er im sicheren Bewußtsein seiner 33 Jahre hinterherzuschicken.

Nein, er kokettiere nicht mit seiner Jugend, versichert er, während er den Rest Himbeersoße über das Eis gießt. Freiheit nicht nur als Freisein von Zwängen, sondern auch als Bindung zu verstehen, sei ein Kernstück christdemokratischer Programmatik, ebenso ein interessenunabhängiges, gruppenübergreifendes Verständnis von Solidarität und damit ein harmonischer Ansatz zur Entwicklung der Gesellschaft. Und dann natürlich das Bekenntnis zur Eigenverantwortlichkeit und Leistung des Einzelnen. Das geht dem Musterschüler Helmut Kohls völlig glaubwürdig über die Lippen.

Seine redliche Ausstrahlung ist sein großes Plus. Das kommt an, gerade angesichts der ständigen Politskandale, gerade angesichts eines Ministerpräsidenten, der soeben auch noch seine letzten Prin

Hierhin bitte

den sympathischen

Herrn mit Brille

Der Clinton aus Osnabrück Foto: Archiv

zipien über Bord geworfen hat. Der Politiker im Stadium der Unschuld, vor den korrumpierenden Sachzwängen der Macht.

Geschickt wendet er seine landespolitische Unbelecktheit in Unbeflecktheit: „Wenn ich Landtagserfahrung hätte, wäre das vielleicht sogar schädlich. Viele Parteifreunde sagen: Gehen Sie da bloß nicht so oft hin, in die Fraktion, sonst werden Sie noch genauso wie die!“ lacht er jungenhaft. Außerdem, findet er, „sollten wir nicht nur 50jährige Ministerpräsidenten haben (Schröder erreicht im Wahljahr dieses biblische Alter), sondern auch mal ein paar junge.“ Wie ihn eben. Er rechnet vor: „Die Grünen sind hoffnungslos überaltert, die FDP hat keinen Nachwuchs bei den unter 40jährigen. Die beiden großen Volksparteien haben riesige Abbrüche. Die jungen Leute stehen von allen Parteien gleich weit entfernt. Ich habe mir vorgenommen, die abzuholen.“

Programmatisch hat er nichts

Neues zu bieten. Seine rhetorisch glatte, nur gelegentlich polemische Rede („Diese Landesregierung ist eine interessante Selbsterfahrungsgruppe“) gleicht inhaltlich einem Selbstbedienungsladen: Anerkennung der schwierigen Erziehungsarbeit für die Lehrer, Erhaltung des Ererbten für die Bauern, Entbürokratisierung für die geplagten Steuerzahler, Ausbau der Polizei für verschreckte Bürger, Dank an die Alten, Werte und Hoffnung für die Jungen ... Die Frauen hat er vergessen. „Oh, schrecklich, was müssen Sie jetzt für einen Eindruck von mir haben“, lacht er, um den Moment der Unsicherheit zu überspielen. Aber die passende Antwort ist schnell parat: „Ich habe da keinen Nachholbedarf. Ich bin für die volle Gleichstellung der Frau, und zwar in Wort und Tat.“

Seine Frau ist übrigens Anwältin - wie Hillary Clinton. Aber damit dürften sich die Parallelen schon erschöpft haben.

Marie Beckmann