„Meistens geht man hier salopp“

■ Chansons und Satiren aus Theresienstadt – Das Wiener „Theater der Josephstadt“ zu Gast im Schloßparktheater

Als Peter Zadek seinerzeit „Ghetto“ aufführen wollte, ein Stück, in dem es hauptsächlich um Entertainment im Angesicht des Todes ging, da murrte es allenthalben. Widerstandshymnen – ja, Klagelieder – ja, selbst ein katholisches Requiem, gespielt von einem exzellenten jüdischen Orchester, mochten ja angehen, aber leichte Muse? „Cabaret“ – mit einer Jüdin in der Rolle der Liza Minelli? Das Warschauer Ghetto ein Rotlichtdistrikt?

Mittlerweile ist die Bereitschaft, auch andere als die philosemitischen Bilder der Juden als entweder Widerstandskämpfer oder stumm Leidende anzuerkennen, erheblich gewachsen. In Berlin waren dafür sicher Ausstellungen wie die über den „Jüdischen Kulturbund“ oder über das Ghetto Lodz mit ihrer differenzierten Darstellung der Position des Judenrates verantwortlich. Plötzlich ist Sarkasmus, Ironie, feixende Hoffnungslosigkeit ins Repertoire des Vorstellbaren aufgenommen.

So kam es, daß das Gastspiel des Theaters der Josephstadt mit einem Programm von Liedern aus Theresienstadt in seiner ganzen wagemutigen Brillanz von einem aufmerksamen, nicht auf emotionale Überwältigung angewiesenen Publikum goutiert werden konnte. Über dem schwarzen Bühnenraum thronte der Name „Terezin“, erleuchtet wie der über einem Wiener Caféhaus, der schwarze Flügel glänzte, und die Protagonisten des Abends – Alexander Waechter, Tania Golden, Gesang; Sergei Dreznin, Piano – waren in feierliche Fracks und Zylinderhüte gekleidet. Gott sei Dank nicht ein Hauch von Versuch, Wachtürme oder Pritschen oder Schlimmeres anzudeuten, wie man das in den 70ern und noch heute bei manchen nimmermüden Stadttheatern erleben mußte.

Ähnlich zurückhaltend ist das Trio im Umgang mit der Musik. Zwischen den Stücken erzählt Alexander Waechter, von dem Buch und Regie des Programms stammen, im süffisant-zornigen Wiener Schmäh, wie Theresienstadt lange Zeit, fast bis zum Ende, nach außen als Sanatorium verkauft wurde; und wie die so getäuschten Lagerinsassen die Wahrheit erkennen mußten; nennt Namen, Zahlen, Lebensläufe. Keine Möglichkeit also, in die Musik abzutauchen oder im Schrecken, in der Trauer – jedenfalls nicht im Kollektiv. Waechters Inszenierung vereinzelt.

Eine riesige Dame im Reisekleid (Waechter) kommt in Theresienstadt an und fragt: „Wie steht's hier mit dem Evening-Dress? Muß mein Mann, so möcht' ich fragen, abends einen Frack hier tragen?“ Die andere, ein alter „Wien-Transport“ im Arbeitsgewand, klärt mokant auf: „Meistens geht man hier salopp, und nur manche tun als ob. Schmücken sich je nach Geschmack, mein Mann geht hier nur als Wrack.“ In perlende, flotte Klavierbegleitung gehüllt, entsteht so ein Stück Alltagskultur des Ghettos: Um Theaterkarten geht es, um Essen, Baden, Schlafen, um Erinnerungen an einen Platzerl am Prater, wo man mit dem Schatzerl saß, um Transporte, um das Ehrenkreuz aus dem Ersten Weltkrieg, um Prostitution. Frauen sprechen da und Männer, ein Kind, der Koffer eines Professors, ein Alter, eine jüdische Ghettowache, Herr Fröhlich und Herr Schön; Salomon und die kranke Frau Kuletscher. Keinen Ton lang, mit keiner Silbe drängen sich die Darstellenden vor die Komponisten. Sie leihen nur, präzis, virtuos und klar, den Vernichteten ihre Stimmen.

Im Foyer des Schloßparktheaters ist eine Ausstellung mit Zeichnungen, Billets, Kupferstichen und Veranstaltungshinweisen aus Theresienstadt zu sehen. Da ist unter anderem ein Vortrag angekündigt über „Bilanz und Steuer“, über „Deutschen Humor, französischen Esprit, jüdischen Witz“; der Psychoanalytiker Viktor Frankl sprach über „Lebensmüdigkeit und Lebensmut in Theresienstadt“ und der Rabbiner Leo Baeck über „Die Stellung des Arbeiters in der jüdischen Idee“. Von den „Ghettoswingers“ über „Maria Stuart“ oder „Emil und die Detektive“ bis zu neuer, im Ghetto komponierter Musik ist alles vorhanden, was die 30er Jahre zu bieten hatten.

Gezeigt wurde auch der von den Nazis bei dem jüdischen Schauspieler Kurt Gerron in Auftrag gegebene Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ – bekanntermaßen eine Inszenierung mit schachspielenden, fußballspielenden, strickenden und sich erholenden Juden, die nach einem bestimmten – Goebbels Rassevorstellungen entsprechenden – Prinzip ausgesucht worden waren und die für einen Tag SS-Einrichtungen und Privilegien genießen durften, damit die Weltöffentlichkeit ein weiteres Mal erfuhr, was sie so innigst zu glauben wünschte: daß es den Juden gutgeht unter den Deutschen. Der Regisseur, der noch mit dem Judenrat haderte, ob er einer solchen Lüge sein immenses Talent zur Verfügung stellen mußte, hat sein Werk nie zu Gesicht bekommen: Einen Tag nach Abschluß der Dreharbeiten wurde er nach Auschwitz deportiert. Mariam Niroumand