Kreuzberg 36 ohne Gesicht

■ Berliner müssen sich an die neuen fünfstelligen Postleitzahlen gewöhnen / Ku'damm mit vier verschiedenen Zahlen

Berlin. Dem widerspenstigen Kreuzberg zwischen Kottbusser Tor und Oranienstraße raubt die Deutsche Bundespost einen Teil seiner Identität: Ab 1. Juli dieses Jahres wird die stolze Kennziffer 36, von vielen ein Inbegriff für Widerstand und Revolte, nicht mehr gebraucht. Statt dessen werden die bisherigen Zahlen für die einzelnen Zustellbezirke durch eine fünfstellige Nummernkombination abgelöst, die vor die Ortsangabe (Berlin) gestellt werden. Die bisherige Anfangsnummer 1 bleibt dabei für die Hauptstadt bestehen.

Für den bisherigen Zustellbezirk 1000 Berlin 36 wird es nach Angaben der Post ab Sommer zwei neue Zifferreihen geben: 10997 Berlin und 10999 Berlin. Die noch heute gebräuchliche letzte Nummer, also 36, entfällt gänzlich. So wie Kreuzberg 36 wird es künftig allen Berliner Bezirken gehen. Grund: Nach der Vereinigung war die Umstellung der bisherigen Postleitzahlen notwendig geworden, weil rund 800 Städte und Gemeinden dieselbe Ortskennzahl aufweisen – so Bonn und Weimar mit der Kennziffer 5300.

Für Berlin bedeutet die Entscheidung der Post: Alle bisherigen 51 Zustellbezirke werden in 192 Bereiche mit neuen Nummern aufgeteilt. So erhält etwa Spandau (bisher Zustellbezirk 1000 Berlin 20) gleich zehn neue Zahlen. Darüber hinaus sind 297 Postleitzahlen für Postfächer reserviert, und 146 weitere Zahlen erhalten Empfänger, die mehr als 2.000 Briefe pro Tag erhalten.

Durch das neue System, mit dem sich die Post eine schnellere Zustellung erhofft, entfällt letztlich auch die bisherige Kennzeichnung W für den Westen und O für den Osten. Noch nicht vergeben sind in Berlin die beiden Anfangsziffern 11. Der Regierende Bürgermeister Diepgen ließ jedoch durchblicken, daß sie den künftigen Bundesministerien überlassen werden.

Während die Bundespost intern eine Vereinfachung der Betriebsabläufe erwartet, wird den Berlinern hingegen künftig ein gutes Gedächtnis zugemutet. So hat etwa der kilometerlange Kurfürstendamm gleich vier Postleitzahlen: 10719, 10707, 10711 und 10709. Um sich im neuen Zahlenchaos zurechtzufinden, wird ab Mai allen Haushalten das neue Postleitzahlenverzeichnis – ein knapp zwei Kilo schweres und 1.000 Seiten dickes Werk – kostenlos zugeschickt. Wer allerdings schon vorher seine neue Postleitzahl erfahren will, kann dies ab heute gebührenfrei unter folgender bundesweiten Nummer bei der Post nachfragen: 0130-55555.

Die Umstellung, die sich im wesentlichen am Postleitsystem der ehemaligen DDR orientiert, kostet bundesweit rund 80 Millionen Mark. Obwohl die Post bei der Briefbeförderung einen Sparkurs eingelegt hat, wird das neue System kurzfristig neues Personal erfordern, wie der Berliner Post- Sprecher Andreas Winkelmann gegenüber der taz erklärte: „Bei der Handverteilung in den Postämtern werden wir wohl am Anfang aufstocken müssen, um die bisherige Qualität zu sichern.“ Langfristig sei jedoch geplant, verstärkt Maschinen zum Einsatz zu bringen. Das neue Postleitsystem sei Teil einer „langfristig strategischen Unternehmensentscheidung“, mit dem die Post bei der Brief- und Paketbeförderung wirtschaftlich gestärkt werden solle. sev