Macht Teetrinken dumm? Von Ralf Sotscheck

Ein Einkauf im Supermarkt ist eins der letzten Abenteuer in Dublin. In der Superquinn-Filiale im Nord-Dubliner Arbeiterviertel Finglas lauern hinter jedem Regal die KostprobenverteilerInnen der Herstellerfirmen, um an der Kundschaft neue Produkte auszuprobieren. Die auserkorenen Meerschweinchen lassen sich scheinbar willenlos mit Wurstscheiben, Käsewürfeln, Keksen, Marmeladenbroten und Fruchtjoghurt füttern. Kostet ja nichts. Schon von weitem erkenne ich den jungen Mann, der eine Batterie kleiner Plastikbecher mit Billigwein vor sich aufgebaut hat. Sofort fällt mir das Sodbrennen vom letzten Einkauf ein. Diesmal redet er auf vier ältere Herren ein, so daß es mir gelingt, mich vorbeizuschleichen. Die Erleichterung darüber trübt für einen Augenblick meine Wachsamkeit: Ich laufe der Schinkenbräterin direkt in die Falle. Mein Geruchssinn, der mich bisher immer rechtzeitig gewarnt hatte, ist durch einen heftigen Schnupfen lahmgelegt. Mit verblüffender Überredungskunst – oder ist es Hypnose? – schiebt mir die freundliche, aber erbarmungslose Frau eine Scheibe gebratenen Räucherschinken in Ahornsirup in den Mund. Die Geschmackskombination wirkt lähmend. Erst nach zwei weiteren Scheiben taucht ein neues Opfer auf, und mir gelingt die Flucht.

Am Ende des Ganges wartet schon die Teeköchin. „Ahornschinken ist nicht jedermanns Sache“, täuscht sie Mitgefühl vor. „Trink ein Täßchen Tee, dann geht es dir wieder besser. Es ist eine bahnbrechende neue Sorte.“ Der Tee schmeckt erstaunlich normal. „Ja, aber die Beutel sind rund“, belehrt sie mich. „Jahrzehntelang wurden nur rechteckige Teebeutel verkauft. Aber Teekannen, Tassen und Untertassen sind rund. Da ist es doch logisch, daß runde Beutel viel vorteilhafter sind.“ Mein Tisch, an dem ich zu Hause Tee trinke, ist aber rechteckig, wende ich mit letzter Kraft ein, was die rundköpfige Animateurin jedoch ignoriert: „Die Beutel gehen weg wie warme Semmeln.“ Macht Teetrinken dumm?

Manchmal geht die Zwangsernährung auch schief. Plötzlich kommt eine Dreijährige mit Affenzahn aus der Süßwarenabteilung, flitzt kreischend zweimal um die Tiefkühltruhe und rennt dann an der Brotabteilung vorbei in Richtung Ausgang – verfolgt von den besorgten Eltern und einem etwa zwei Meter großen gelben Vogel, der dem Mädchen unbedingt einen Schokoriegel zustecken will. Kurz vor der Kasse endet die ungleiche Jagd. Als das Untier dann den schwarzen Schnabel hochklappt, um zu beweisen, das sich dahinter ein relativ normaler Schokoriegel-Vertreter verbirgt, ist es um die Fassung der Kleinen vollends geschehen. „Der böse Vogel hat einen Mann gefressen“, brüllt sie hysterisch und wirft den Schokoriegel, den ihr das Vogelhirn inzwischen aufgezwungen hat, in hohem Bogen hinter die Fleischtheke. Die Eltern brechen den Einkaufsversuch entnervt ab. Das war ihr Glück, denn wenige Minuten später fällt der Strom aus. Und damit auch die Kassen und die elektrischen Türen. Hunderte von Menschen sind den KostprobenverteilerInnen wehrlos ausgeliefert. Der einzige Trost: Auch der elektrische Herd mit dem unsäglichen Ahornsirupschinken gibt den Geist auf.