Nebensachen aus Moskau
: Nur Landen ist schöner

■ Über Spezifika Rußlands und seiner Fluggesellschaft

Sehen Sie, ob man nun in Moskau ankommt, in Bangkok oder in Hamburg, überall sind die Flughäfen gleich, Chrom und glitzerndes Gestein. Wo bleibt da das nationale Kolorit? – Genau das wollen wir nicht“, klagt ein hoher Würdenträger der russisch-orthodoxen Kirche. Ihm und ihr geht es schon seit langem um die Bewahrung der russischen Eigenheit vor kulturzersetzenden Kräften aus westlicher Richtung. Der Anstand gebot es, den Vertreter Gottes am Boden nicht auf die Unterschiede hinzuweisen, die trotz allem zwischen den genannten Orten bestehen. Obwohl es ihn hätte beruhigen können.

Chrom und glitzerndes Gestein allein stiften noch keine Gleichheit. Reisen mit Aeroflot, der ehemaligen sowjetischen Fluglinie, ist und bleibt ein wahrliches Vergnügen. Wenn ein Pulk von hundert Vietnamesen mit Hausstand nach Ho-Chi-Minh- Stadt reisen will und wie beim Winterschlußverkauf den Zutritt zu den einzigen beiden Zöllnern auf Dauer versperrt. Gezeter und Mordio helfen da nicht weiter. Selbstverständlich hat der Flughafendirektor keinen Einfluß auf den Zoll ... der Reisende aber schaut seinem Vogel hinterher.

Aeroflot mußte einen Teil ihrer Maschinen an die Staaten der GUS abtreten. Zwangsentflechtung befördert in der Tat das Spiel der freien Kräfte. Nicht deren Effektivität. Abflug nach Tbilissi vier Stunden verschoben. Nun das macht doch gar nichts. Zu Hause angekommen, Routineanruf: „Bleibt es bei der Verspätung?“ – „Wieso? Wir fliegen in einer Dreiviertelstunde.“ Im Affentempo zurück. „Ja aber das geht doch nicht. X-mal haben wir Sie aufgerufen!“ Was folgt, ist die unvermeidliche Geste der Unterwürfigkeit – ich bin doch ein kleines Nichts, Sie dagegen...

Es klappt. Eine Aeroflotte greift sich ihr Mutterherz und den Säumling. Der ist in der Maschine der erste Fluggast und sollte es auch noch weitere Stunden bleiben. Die Nachrichten melden inzwischen einen Absturz unweit Moskaus – auch eine Tupelew 154 – keine Überlebenden. Überall auf der Welt wollen die Fluggäste vor dem Abheben beruhigt werden. Hier reicht man einen kleinen Cocktail, dort eine Praline. Die Psychologen der Aeroflot dulden keine Diversion. Ihre Stewardess bietet die Zeitung Risiko zum Kauf an.

Eigentlich fühlte ich mich bei Aeroflot immer gut aufgehoben. Erstaunlich wenige Havarien gehen auf das Konto der größten Fluggesellschaft der Welt. Doch die wirtschaftliche Krise, Schwierigkeiten mit Ersatzteilen, all das müßte sich bei diesem Unternehmen doch bemerkbar machen... Zumindest bei den abtrünnigen Sprößlingen, Usbekistan, Armenien oder Georgien Airlines. Apropos Armenien. Blinde Passagiere reisen immer mit. Nicht ganz blind, denn der Pilot weiß meist von ihrer Existenz. Sie fliegen auf „seinem“ Kontingent – sozusagen. Preis Verhandlungssache. Früher hockten sie im Cockpit oder im Zwischenraum, lugten ab und an verstohlen durch den Vorhang, der sie von den Gemeinen trennte.

Die Maschine schwingt sich in die Lüfte, und das vor Ende der Piste, was will man mehr. Weiland ging es noch nonstop von Eriwan nach Moskau. Jetzt landet man hinterm Kaukasus in Wladikawkas, Nordossetien, erst einmal zwischen. Weder Motorendefekt noch andere Störungen liegen vor. Ein harmloser Grund. Das Benzin reicht nicht. Ein Diplomatenkoffer mit Co-Piloten steigt von Bord. 30 000 Rubel, sagt man, befänden sich darin. Soviel kostet eine Tonne Flugbenzin.

Am Bestimmungsort angekommen, funktioniert kein öffentliches Telefon. Doch halt! Gegen 25 Rubel (das 100fache des Normalpreises) helfen fachkundige Jungs, den richtigen Anschluß herzustellen. Und da fürchte noch einer, Rußland verlöre seine Spezifika. Klaus-Helge Donath