Genf: Ein letzter Schachzug

Nach fünf Monaten gingen die Verhandlungen über die Zukunft Bosniens zu Ende/ Kriegsparteien wird überraschend ermöglicht, nur Teile des „Gesamtpakets“ zu unterschreiben  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Das Ergebnis der nach fünf Monaten am Wochenende zunächst einmal gescheiterten Genfer Verhandlungen über die Zukunft Bosnien-Herzegowinas sieht, oberflächlich betrachtet, besser aus, als es tatsächlich ist. Die beiden Konferenzvorsitzenden Cyrus Vance und David Owen erzielten diesen Eindruck durch einen unerwarteten Schachzug, von dem sogar ihr bislang stets bestens informierter Sprecher Fred Eckard „völlig überrascht“ wurde.

Entgegen ihrer zuletzt noch einmal Freitag abend offiziell verkündeten Absicht, den Führern der drei bosnischen Kriegsparteien das dreiteilige Abkommen nur als Gesamtpaket zur Unterzeichnung vorzulegen, ließen Vance und Owen am Samstag morgen dann doch gesplittete Unterschriften zu. Präsident Alija Izetbegović, Serbenführer Radovan Karadžić und Kroatenchef Mate Boban unterschrieben daraufhin die von ihnen im Verlauf der letzten vier Wochen ohnehin schon akzeptierten neun Verfassungsprinzipien. Die seit dem 2. Januar auf dem Genfer Verhandlungstisch liegende Waffenstillstandsvereinbarung signierten jedoch nur Boban sowie — überraschenderweise — Karadžić. Letzterer allerdings erst, als Präsident Izetbegović sein „Nein“ bereits zu Protokoll gegeben hatte: Bei den Verhandlungen hatten Vance und Owen die Funktion des bosnischen Präsidenten stets ignoriert, ihn auf die gleiche protokollarische Stufe wie Boban und Karadžić gestellt und eine Abgabe ihrer Positionen in alphabetischer Reihenfolge angeordnet.

Noch am Freitag abend hatte der Serbenführer seine in den letzten vier Wochen stetig wiederholte Ablehnung der Waffenstillstandsvereinbarung bekräftigt. Die darin vorgesehene UNO-Kontrolle schwerer Waffen (der wichtigsten Kriegsinstrumente der Serben) sei „zu weitgehend“. Der Begriff „Kontrolle“ solle durch „Supervision“ ersetzt werden.

Seine Unterschrift unter das von Vance und Owen am Samstag ohne jede Änderung vorgelegte Waffenstillstandspapier erklärte Karadžić den überraschten Journalisten dann damit, er habe es „über Nacht neu interpretiert“. Schließlich sei mit dem Begriff „Kontrolle“ der schweren Waffen „ja nicht gemeint, daß diese in verschlossenen Depots der UNPROFOR gelagert werden und damit im Bedarfsfall ihren Besitzern nicht mehr zur Verfügung“ ständen. Tatsächlich enthält das Dokument keine entsprechenden Ausführungsbestimmungen (wie sie etwa im Vance-Plan für Kroatien enthalten sind, allerdings bis heute nicht durchgesetzt wurden).

Genau aus diesem Grund lehnte denn auch Präsident Izetbegović die von ihm zunächst gutgeheißene Waffenstillstandsvereinbarung ab und forderte „die Präzisierung und Verschärfung der Kontrollbestimmungen“. Owen gab sich zuversichtlich, Izetbegović durch nachgeschobene „Erläuterungen“ dieser Bestimmungen noch zur Unterschrift bewegen zu können.

Ihren am 2. Januar in die Verhandlungen eingebrachten Kartenentwurf mit den Grenzen für die zehn Provinzen Bosnien-Herzegowinas, den Vance und Owen ohne jede Änderung auf den Tisch legten, unterschrieb lediglich Kroatenführer Boban. Izetbegović lehnte ihn wegen der „damit zementierten ethnischen Teilung Bosnien-Herzegowinas“ ab. Karadžić blieb bei seinem „Nein“, weil die von Vance und Owen vorgeschlagene Grenzziehung zwar einige der serbischen Eroberungen und damit auch „ethnische Säuberungen“ sanktioniert, die darüber hinausgehenden Territorialforderungen der Serben — vor allem die nach einem Korridor zwischen den beiden serbischen Provinzen im Nordwesten und Nordosten — nicht erfüllt.

Vance und Owen äußerten die Hoffnung, daß sich Serben und Muslime unter dem Druck des UNO-Sicherheitsrates in den nächsten Wochen doch noch „zu Kompromissen bereit finden“.