Kafkaeske Szenarien für die Deportierten

■ Israel einig mit den USA: „Sicherheits-Revisionsverfahren“ in Einzelfällen und diplomatische Aktivitäten sollen UN-Maßnahmen verzögern und entschärfen

Tel Aviv (taz) – Morgen sollte sich der UN-Sicherheitsrat eigentlich mit der Weigerung der israelischen Regierung befassen, die rund vierhundert deportierten Palästinenser aus dem Südlibanon zurückkehren zu lassen. Doch hofft die Regierung Rabin bis jetzt, durch entsprechende diplomatische Aktivitäten eine erneute Verschiebung des Treffens zu erreichen und bis dahin eine Abschwächung eventueller Verurteilungen oder Sanktionen. Angesichts des israelischen Unwillens, die unmittelbar nach der Deportation verabschiedete UN-Resolution 799 zu befolgen, hatte UN-Generalsekretär Butros Ghali dem Sicherheitsrat bereits Anfang letzter Woche empfohlen, härtere Resolutionen mit „operativen Instruktionen“ zu beschließen.

Zusammen mit US-Diplomaten will Israel jetzt vermeiden, daß Sanktionen oder ihre Androhung in neue, mehrheitsfähige Resolutionsentwürfe aufgenommen werden. US-Außenminister Warren Christopher verlangte vom israelischen Ministerpräsidenten dringend Maßnahmen, die verhindern, daß die USA Israel im Sicherheitsrat nur noch durch Einlegen eines Vetos schützen können. Also bereitet die israelische Regierung jetzt „Sicherheits-Revisionsverfahren“ der Militärbehörden vor – unabhängig von den Berufungsgesuchen, welche die Deportierten im Sinne des höchstrichterlichen Urteils vom letzten Donnerstag einreichen könnten. Diese Initiative soll eine baldige Rückkehr einzelner Deportierter auch ohne deren Berufungsgesuche möglich machen und erfüllt mithin einen doppelten Zweck: Sie unterläuft die Weigerung der Deportierten, sich von ihrem Zeltlager im Südlibanon aus als „Einzelfälle“ auf Berufungsverfahren einzulassen, und ist geeignet, die internationale Meinung freundlicher zu stimmen.

Wahrscheinlich wird die israelische Regierung unter amerikanischem Druck noch vor der nächsten Sicherheitsratssitzung eine Reihe weiterer Maßnahmen dieser Art ergreifen. Zu den amerikanischen Vorschlägen, die auch von einigen israelischen Ministern unterstützt werden, gehört etwa die „Überführung“ der Deportierten aus ihrem Zeltlager nördlich der Demarkationslinie in ein Internierungslager im israelisch besetzten Teil des Südlibanon. Damit befänden sich die deportierten Palästinenser dann wieder in einer von Israel kontrollierten Zone, ohne in die Westbank oder in den Gaza- Streifen zurückzukehren. Anscheinend gehen manche Politiker davon aus, daß man dann nicht mehr von einer „Deportation ins Ausland“ sprechen könne.

An der israelisch-libanesischen Staatsgrenze soll unabhängig davon ein Armeegebäude errichtet werden, in dem dann einzelne Deportierte persönlich vor Berufungstribunalen oder Revisionsstellen der Sicherheitsbehörden erscheinen sollen und auch Kontakt mit ihren Rechtsvertretern aufnehmen könnten. Zunächst wurden lediglich israelische Beamte an der Demarkationslinie im Südlibanon bereitgestellt, um Berufungsanträge entgegenzunehmen. Bislang hat sich jedoch keiner der Deportierten bereit erklärt, diesen Weg zu beschreiten. Sie und die Palästinenser in den besetzten Gebieten lehnen – im Einklang mit internationalem Recht – Deportationen generell ab. Sie verlangen harte Maßnahmen des Sicherheitsrats, damit die israelische Regierung alle Deportierten unverzüglich und bedingungslos wieder zurückbringt. Die von Israel vorgeschlagenen Berufungsgesuche und Verfahren sind für die Deportierten auch deshalb nicht akzeptabel, weil sie den vom Obersten Gericht verlangten letzten Legalisierungsakt der sonst nicht „rechtmäßigen“ Deportationsbefehle darstellen würden.

Am Samstag hat die Erschießung von zwei israelischen Soldaten, die in einer jüdischen Siedlung im südlichen Gaza-Streifen patrouillierten, erneut die Frage aufgeworfen, ob die Deportation der Hamas- und Jihad-Führung tatsächlich zu einer Verbesserung der „Sicherheitslage“ für Israelis beigetragen hat, wie die Regierung behauptet. In den Augen vieler Beobachter kam der Überfall, den angeblich ein Hamas- oder Jihad- Kommando zu verantworten hat, auch als Reaktion auf das Urteil des Obersten Gerichts. Im Süd- Gaza-Streifen wurde anschließend eine Ausgangssperre verhängt, ein fünfjähriger Junge wurde während der folgenden Auseinandersetzung von israelischen Soldaten angeschossen. Am Abend demonstrierten rund 1.500 jüdische und arabische Demonstranten in Westjerusalem gegen die Deportationen. An der Spitze des Zuges wurde ein schwarzer Sarg mit der Aufschrift getragen: „Hier ruht der Frieden“. Amos Wollin