Tanz mit dem Federbett

■ Nach Sachalin war Verena Weiss letzte Premiere im Malersaal / Lang anhaltender Applaus für die bilderreiche Cechov-Adaption

war Verena Weiss letzte Premiere im Malersaal

Lang anhaltender Applaus für die bilderreiche Cechov-Adaption

Verena Weiss dritter Tanztheaterabend im Malersaal wird wohl auch ihr letzter sein. Frank Baumbauer, neuer Intendant ab der nächsten Spielzeit, hat den Malersaal des größten deutschen Sprechtheaters für andere Dinge vorgesehen. So wurde die hundert Jahre alte Reise „nach Sachalin“, einer sibirischen Gefangeneninsel, ihre Abschiedspremiere von der Kirchenallee.

1890 trat Anton Cechov diese Reise an, blieb dort für einige Monate und verarbeitete die Fülle der teils grausamen Ereignisse in Dokumentation und Prosa. Verena Weiss schuf aus Cechovs Motiven ein Bildertableau, einen achtteiligen Reigen russischer Impressionen, eine Theatermischform, in der Tanz als eine Ausdrucksform der Pantomime dient.

Quer über die schwarze Malersaalbühne ließ Ulrich Schulz Eisenbahnschienen legen, ein nackter Baum und die weiße, perspektivisch schräge Decke assoziieren sibirische Weite. An den Seitenwänden sind verschiedene Scheinwerfersäulen für Schattenspiele installiert, in der Rückwand finden sich große Türen, aus dem der reisende Dichter seine Figuren hervorzaubern kann.

Nikolaj Koljada, russischer Schauspieler und Dramatiker, verkörpert diesen meist still und starr beobachtenden Cechov. Zu Beginn des Abends sitzt er auf seinem Koffer auf den Schienen, schaut und schreibt. Auf einem hölzernen Schienenwagen kommen vier grau verhüllte Menschen, sie bewegen sich mit langen Stäben fort, kämpfen mit gefüllten weißen Säcken in schweren, langsamen Bewegungen. In einer Stummfilmästhetik zu Elena Chernins Collage aus atonaler Kammermusik, Walzer und Volksweisen, wird das Elend auf Sachalin, wohl die erste Erfahrung des Dichters auf dieser Insel, verdeutlicht.

In den folgenden Bildern, in Musik und Stimmung jeweils unterschiedlich, mischen sich prosaische Motive mit vermutlich autobiographischen Begegnungen des Dichters mit schönen Frauen. Hier erwacht die Figur zu Eigenleben. Koljada spricht auf Russisch, erweitert das sonst stumme Theater.

Tänzerisch glänzt Verena Weiss vor allem in zwei Bildern als Braut und als Träumende, Schlafwandelnde. Tanzend deckt sie die Hochzeitstafel auf — und wieder ab, verdeutlich im Tanz mit dem Federbett die Qualen des Alptraums. In der gesamten Choreographie dominiert neben der egozentrisch kreisenden Bewegung das Herbeisehnen, Heranziehen, bzw. das Abwehren, Abweisen.

Pierre Carrelet, französischer Tänzer und Choreograph, stellt dem weit ausholenden Tanz Verena Weiss in zwei Szenen eine virtuos gestörte Motorik entgegen. In Anzug und Hut, sowie einer Mischung aus Marionetten- und Parkinson- Bewegung bricht er die Schönheit der Bilder durch Komik.

Am Ende schließt die Heimfahrt des Dichters den Kreis, rechtzeitig bevor sich die ausdrucksreiche Vielfalt in Beliebigkeit verliert. Langer Applaus für die nun heimatlose Künstlerin folgte. Niels Grevsen