Mit Karten und Pendel Konflikte lösen

■ Okkulte Praktiken unter Jugendlichen weit verbreitet/ Statt mit Freunden werden mit „Geistern“ Probleme besprochen

Berlin. „Bevor ich noch eine Bewerbung abschicke, befrage ich mein Pendel, ob ich überhaupt eine Chance habe“, erklärt ein Ostberliner Hauptschüler, der bereits 47 Ablehnungen auf seine Bewerbung um eine Lehrstelle erhielt. So wie er beschäftigen sich zahlreiche Jugendliche in Berlin mit okkulten Praktiken. Eine Untersuchung des Religionswissenschaftlichen Instituts der Freien Universität (FU) ergab bereits 1990 unter 2.200 Westberliner Schülern der 8. bis 10. Klassen, daß 28,3 Prozent von ihnen aktiv okkulte Praktiken anwenden.

„Auch in Ostberlin ist der Okkultismus bei den Schülern bereits in Mode gekommen“, meint Religionswissenschaftler Werner Schultz vom Freidenker-Verband Berlin.

Aber nicht nur Neugier, Interesse am Außergewöhnlichen und ein gewisser Unterhaltungseffekt beflügelten die Mädchen und Jungen, sich dem Kartenlegen, Flaschendrehen, Glas- und Tischrücken zuzuwenden. Mit den „Geistern“ würden oftmals schulische und persönliche Probleme besprochen, Entscheidungen gefällt, Konfliktlösungen ersonnen und der vorhandene Mangel an Selbstbewußtsein ausgeglichen.

Nach der FU-Umfrage wenden sich doppelt so viele Mädchen wie Jungen okkulten Praktiken zu und befragen beispielsweise vor Klassenarbeiten das Pendel, ob diese gut für sie ausfallen wird.

„Zu viele angstauslösende und verunsichernde Themen wie Liebe, Tod und Schicksal, mit denen sich die Jugendlichen beispielsweise in der Pubertät auseinandersetzen wollen, werden in der Schule und im Elternhaus ausgeklammert“, sagt der Religionswissenschaftler. Als wesentliche Ursachen für die Beschäftigung mit den „Geistern“ nennt er allgemeine Lebensängste, Unsicherheit, Werteverlust, schlechte Zukunftsaussichten, Probleme der Pubertät und den Mangel an Möglichkeiten, diese zu thematisieren.

Laut Umfragen des Projektes Strukturwandel Pädagogik des Zentrums für Bürgerberatung, Wirtschaftsförderung und Umwelterhaltung e.V. (ZBWU) unter 1.200 Friedrichshainer Elternvertretern und Lehrern besteht eine große Unsicherheit und ein hohes Informationsbedürfnis zum Okkultismus, zu Sekten und religiösen Bewegungen. Ähnlich uninformiert wie im Osten seien nach wie vor auch Lehrer und Eltern in den alten Bundesländern, schätzt Schultz ein. Es sei jedoch Aufgabe der Schulen und Elternhäuser, sich der Phänomene anzunehmen und die Heranwachsenden darüber aufzuklären, daß viele Praktiken auf verblüffenden Tricks beruhen und daß es einen riesigen Unterschied zwischen Wahrnehmung und Deutung gibt. Nur durch Aufklärung könnte den Mädchen und Jungen vermittelt werden, daß beispielsweise die Pendelbewegungen durch Ideomotorik – ein Zusammenspiel von Denken und Feinbewegungen – zustande kommen und daß ein vertrauensvolles Gespräch Ängste und Probleme besser bewältigen helfen kann als jedes Pendel.

Für Einzelgespräche mit Lehrern und Eltern sowie Veranstaltungen an Schulen steht die Beratungsstelle „Okkultismus und neue religiöse Bewegungen“ des Freidenker-Verbandes in der Hobrechtstraße 8 (Telefon 6237034) zur Verfügung. Das Projekt Strukturwandel Pädagogik des ZBWU in der Boxhagener Sraße 16 (Telefon 7074184) hat eine Broschüre „Sekten und religiöse Bewegungen auf der Jagd nach Seelen und Geld in den neuen Bundesländern“ erarbeitet und bietet ebenfalls Beratung an. Cornelia Schach/ADN