Die Seelenfänger haben viele Tricks

■ Sekten drängen zunehmend nach Ostberlin und finden ein fruchtbares Feld vor / Jugendliche organisierten Talk-Show zu Sekten und Jugendregligionen im Friedrichshainer Club "Chaos 28"

Berlin. Ziemlich erstaunt war die Mutter von Klaus, als ihr eines Tages beim Aufräumen im Kleiderschrank ihres Sohnes teure Bücher über Dianetik und Rechnungen über mehrere tausend Mark in die Hände fielen. Als sie Klaus am nächsten Tag darauf ansprach, gestand der Student, in Kontakt mit der „Scientology-Church“ zu sein. Er hatte vor einigen Monaten seinen ersten „Kommunikationskurs“ absolviert, weil er seine Rhetorik verbessern wollte.

An potentielle Kundschaft heranzukommen, fällt den Jugendreligionen besonders in der ehemaligen DDR nicht schwer. Auf einer Talk-Show am Sonntag abend, die Jugendliche des Friedrichshainer Clubs „Chaos 28“ organisiert hatten, berichteten Experten, mit welchen Methoden die Seelenfänger arbeiten. So erzählte der Pädagoge Helmut Fritsch, der schon in der DDR über Sekten und Okkultismus aufklärte, daß „Scientology“ im Osten sogar an Schulen wirbt. In Berlin dürfen die Jugendreligionen das laut Senatsverfügung nicht. Aber den Lehrern in den neuen Bundesländern seien solche Bestimmungen oft nicht bekannt, klagte Fritsch. So wurden in einem Gymnasium in Schwerin, wo die Gruppierung ein Zentrum unterhält, ungehindert Einladungen zu einem Vortrag über Problemlösung im Alltag verteilt. Und das sei ein Thema, von dem viele der 17- bis 18jährigen angesprochen würden, ergänzte Fritsch.

Wer hingegen auf dem Alexanderplatz oder in der Dresdener Fußgängerzone ein buntes Bild mit Kindern, die Ringelreihen tanzen, in die Hände bekommt, kann beinahe sicher sein, daß hier die „Kinder Gottes“ werben. Auch diese Jugendreligion, der Michael Haupt (AG Neue Jugendreligionen) auch Kinderprostitution nachsagt, mache sich jetzt in Ostdeutschland breit. Über Zahlen und Erfolgsquoten lassen sich – wie bei allen diesen Vereinigungen – allenfalls Spekulationen anstellen. Von den „Kindern Gottes“ ist nicht einmal eine Adresse bekannt.

Die meisten Gruppierungen hingegen versuchen, sich Raum im öffentlichen Leben zu verschaffen. Fritsch berichtete, daß die „Transzendentale Meditation“ es geschafft habe, im Oranienburger Rentnerclub Fuß zu fassen. Außerdem drucke die Kreiszeitung in Oranienburg jedes Wochenende eine Annonce der Scientology- Church. Recht einfallsreich sind die Gruppen auch, wenn es um das Auftreiben von Räumen geht. So erhielt Fritsch, dessen kritische Haltung offensichtlich nicht bekannt war, einen Brief folgenden Inhalts: „Wie wir vom ,Weißen Ring‘ (esoterische Vereinigung, d. Red.) erfahren haben, interessieren Sie sich für Esoterik.“ Es folgte die Bitte, geeignete Räume für entsprechende Veranstaltungen ausfindig zu machen.

Ein Hauptproblem sei nach wie vor das Informationsdefizit über die zahlreichen Gruppierungen, klagte Michael Haupt. Besonders die Pädagogen interessieren sich seiner Meinung nach zuwenig für dieses Thema, wie sich an der schwachen Resonanz auf die angebotenen Wochenendseminare festmachen lasse. Abhilfe will Fritsch durch den Arbeitskreis „Vorsicht Süchte, Vorsicht Sekten“ in den neuen Bundesländern schaffen. Dieser Kreis solle unabhängig von den Kirchen sein, weil 66 Prozent der neuen Bundesbürger konfessionslos seien, betonte Fritsch. akk