Craxi hat die Parteibasis verloren

■ Der Noch-Chef der italienischen Sozialisten versucht, das gesamte System in seinen Absturz hineinzuziehen

Rom (taz) – Nach der Eröffnung des dritten Ermittlungsverfahrens gegen Italiens Sozialistenchef Bettino Craxi wegen Korruption und Verstoßes gegen das Parteienfinanzierungsgesetz überschlagen sich die Ereignisse. Nach dem Motto „Wenn ich untergehe, ist das auch euer Ende“ versucht der PSI-Führer das gesamte System in seinen Absturz hineinzuziehen. Unfähig zur Erkenntnis, daß Gesetze auch für Politiker und sogar Parteisekretäre und ehemalige Ministerpräsidenten gelten, sucht er mal die illegale Finanzierung und die erpresserische Eintreibung von Schmiergeldern als „ganz normal“ hinzustellen, dann wieder schlägt er auf Staatsanwälte ein, die Bestechungsfälle verfolgen, und behauptet, persönliches Opfer von Verfolgungsgelüsten und Aggression zu sein. Als die anderen Top-Politiker – seiner wie anderer Parteien – sich nicht vor ihn stellen, droht er mit einer parlamentarischen Untersuchungskommission, die alle Inhaber von Partei- und Regierungsämtern der letzten zwanzig Jahre bloßstellen soll. Und am Wochenanfang eröffnete er eine Regierungskrise, indem er den Rückzug seiner Minister aus der – von seinem Parteifreund Giuliano Amato – geführten Regierung anordnete.

Damit scheint das Faß übergelaufen: Regierungschef Amato, gesichert durch die vorbehaltlose Unterstützung seiner Koalitionspartner (Christ- und Sozialdemokraten und Liberale) und das Lob des Industriellenverbands, hat die Demission verweigert, zwei der vier sozialistischen Minister – Justizchef Claudio Martelli, der sich Hoffnung auf den Posten Craxis macht, und Umweltminister Ripa de Meana – haben die Teilnahme an der von Craxi einberufenen Austritts-Konferenz seiner Partei abgelehnt. Dem uneinsichtigen Obersozialisten bleibt damit nur noch eine Möglichkeit: die Anweisung an die ihm verbliebenen Getreuen, in dieser Woche bei der Debatte über die von der linken Opposition eingebrachten Mißtrauensanträge gegen die Regierung Amato zu stimmen oder dieser zumindest durch Enthaltung die Mehrheit zu entziehen. Rechnerisch wäre das machbar – die Koalition verfügt nur über ein halbes Dutzend Stimmen Mehrheit. Doch Craxi kann sich nicht einmal mehr seiner engsten Vertrauten sicher sein, so rasch schreitet sein Popularitätsschwund voran.

Craxi wohlgesonnene Politiker versuchen, den seit 17 Jahren herrschenden Sozialistenchef zu einem Rückzug zu bewegen, mit der Aussicht, eines Tages nach dem Scheitern seiner politischen Gegner wieder aktiviert und an die Staatsspitze gesetzt zu werden. Jung genug wäre er – 58 Jahre – und entsprechend präpotent ebenfalls. In der letzten Nummer von L'Espresso hat der angesehene Publizist Piero Ottone einen geradezu gespenstischen Vergleich zwischen Bettino Craxi und Faschistenchef Benito Mussolini gezogen und gezeigt, wie letzterer einst ebenfalls in eine schwere Legitimationskrise geraten war, nachdem ein sozialistischer Abgeordneter, möglicherweise auf Mussolinis Befehl, ermordet worden war – und wie der Faschistenführer wenig später vom demokratisch ernannten Regierungschef zum zwanzig Jahre unumschränkt regierenden „Duce“ aufsteigen konnte. Werner Raith

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