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Atommülldeponie unter freiem Himmel

■ Der Uranbergbau der SDAG Wismut hat eine ganze Region ruiniert und gigantische Altlasten hinterlassen

„Was bleibt von der DDR?“ orakelte nach dem Fall der Mauer die deutsch-deutsche Öffentlichkeit. Die vielleicht brauchbarste Antwort auf diese Frage hatte schon zu DDR-Zeiten ein damals 22jähriger Thüringer gegeben, als er in einer Denkschrift „Pechblende“ erstmals hinter die Barrieren der „SDAG Wismut“ leuchtete. Selbst mit den damals wenigen zugänglichen Fakten deckte Beleites eine der größten Umweltbelastungen Europas auf: die gigantische Umweltzerstörung, die systematische, unverfrorene Gefährdung von Menschenleben durch das unter dem von der Stalin-Administration verhängten Tarnnamen geführte Unternehmen. Was von Wismut geblieben ist, ist auf unabsehbare Zeit eine der wohl größten Atommülldeponien der Welt – und das „unter freiem Himmel und auf nicht abgedichtetem Untergrund“. Es bleiben die Krankheiten der mit Schnaps, genannt „Kumpeltod“, gefügig gemachten Bergleute, die verseuchten Landstriche in Westsachsen und Thüringen, ungelöste Fragen nach Sanierungsmöglichkeiten und schließlich auch nach den Kosten für die Bewältigung des strahlenden Erbes. Der ostdeutsche Uranbergbau hat nicht nur Hunderttausenden die Gesundheit ruiniert, sondern vier Jahrzehnte lang eine ganze Region radioaktiv verseucht. Doch Michael Beleites widerlegt eine von den Verantwortlichen heute gern genährte Illusion, man sei auf dem bestem Weg, die Umweltverseuchung in den Griff zu bekommen. Sein bedrückendes Fazit: „Bisher scheinen weder die Wismut noch ihre Beschäftigten zu einer selbstkritischen Reflexion ihrer Vergangenheit bereit zu sein. Viele denken sogar, daß eine detaillierte Offenlegung der Wismut-Vergangenheit und der damit verbundenen ökologischen und moralischen Altlasten die wirtschaftliche Entwicklung der Region gefährdet. Sie suchen fremde Investoren und glauben, man könnte sie auf ähnliche Weise ins Wismut-Gebiet locken, wie sie selbst einst dorthin gelockt wurden.“ Der Autor recherchiert seitdem unter denkbar schlechtesten Bedingungen. Eine boulevardblattmäßige Vermarktung von Wismut-Gruselstories hat er nicht nötig. Und weil sich die Verharmlosung des strahlenden Erbes andernorts als Verharmlosung atomarer Kraftwerks-Zeitbomben fortsetzt, muß die Aufarbeitung bei den Ronneburger Abfallpyramiden und Schneeberger Lungenkrankheiten beginnen.

Zwischen Goethes Pechblende- Souvenir aus Johanngeorgenstadt und der Entdeckung des Urans im Jahr 1789 bis zur Installation des „Atomstaates im SED-Staat“ liegt ein langer Weg. Die politische Entwicklung, die zur Wismut führte, ist laut Beleites aber von den Deutschen mit ausgelöst worden. Es gebe weder Grund, die Sowjetunion allein haftbar zu machen, noch die stalinistischen Verbrechen um die Uran-Förderung zu verharmlosen. „Da sich die Sowjetunion zur Zeit des beginnenden atomaren Rüstungswettlaufs gegenüber den USA im Rückstand befand, verlief der sowjetische Uranabbau in Ostdeutschland in den 40er und 50er Jahren entsprechend hektisch und brutal.“

Eine detaillierte Bestandsaufnahme zeigt das gesamte Ausmaß der Umweltkatastrophe: sie reicht von den kaum bewältigbaren Altlasten, den weithin sichtbaren Abfallkegel von Ronneburg und den gigantischen Absetzbecken von Crossen bis hin zu den unterschiedlichsten Krankheitsbefunden der Bergarbeiter und BewohnerInnen des Wismutgebietes. Beleites kam zwangsläufig zu dem Verdacht, „daß es für die Erforschung des Strahlenrisikos im Wismut-Gebiet keine offene Politik gibt“. Immer wieder kommt er auf eine Kernthese seiner Untersuchung zurück: Mit aufwendiger Langzeitsanierung und „Begrünung“ wurde auf Drängen von Wismut und Bundesumweltministerium bereits begonnen, ohne das konzeptioneller Vorlauf diese Eile rechtfertigen könnte. Bisher seien noch nicht einmal die Sanierungsziele klar formuliert. Das Ausmaß der Sanierung und deren Kosten wird bei weitem unterschätzt. Beleites drängt darauf, die Sanierungskonzeption mindestens auf die in den USA gültigen strengen Standards auszurichten und sich bis dahin auf kleine Deponien mit weniger kontaminierten Stoffen sowie auf die Hinterlassenschaften in den völlig überforderten Kommunen zu konzentrieren. Doch hier hat sich bislang recht wenig getan. Detlef Krell

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