Katz und Maus um Steuern

Polens berüchtigstes Ministerium schlägt wieder zu/ Steuerreform droht im Chaos zu enden/ Bürokraten machen ihre eigenen Gesetze  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

„Steuerzahler, laß dir Zeit“, riet die Gazeta Wyborcza ihren Lesern unlängst auf der ersten Seite. Grund für den Aufruf war ein nie dagewesener Sturm auf die Finanzämter. Statt wenigen Berufsgruppen sind es ab sofort nämlich 20 Millionen Polen und Polinnen, die jetzt ihren Einkommensteuerjahresausgleich machen müssen – sofern sie nicht zu den glücklichen, aber armen Lohnempfängern gehören, die außer ihrem Monatslohn von ihrem Betrieb keine zusätzlichen Einkünfte haben. Wer mehr als umgerechnet 20 Mark dazuverdient hat, auf den warten nun gigantische Formulare mit zweistelliger Seitenzahl, vollgedruckt mit Paragraphen und unverständlichen Abkürzungen. Und da es in Polen praktisch noch keine Steuerberater gibt, schleppen die unbedarfteren Steuerzahler die Bögen zu den ohnehin überlasteten Finanzämtern, um sie sich dort erklären zu lassen. Das Ergebnis: Warteschlangen, die selbst zu Zeiten, als Fleisch und Wurst noch rationiert waren, ihresgleichen gesucht haben dürften.

Daß Polens Steuerwesen nicht gerade mit Effizienz glänzt, ist längst niemandem mehr verborgen geblieben. Doch schon jetzt ist absehbar, daß die Anfang letzten Jahres in Angriff genommene Steuerreform in einem allgemeinen Chaos enden dürfte, sollte nicht doch noch ein Wunder geschehen. Nicht genug, daß die gleiche Zahl Finanzbeamter nun viermal mehr Kunden abfertigen müssen, das Finanzministerium hat auch noch alles getan, um sich selbst die Arbeit zu erschweren. Nach langen Geburtswehen wurde der französischen Computerfirma Bull schließlich der Zuschlag für die Computerisierung der Finanzämter gegeben, nach Kriterien, die nie wirklich offengelegt wurden. Die Computer sind auch tatsächlich eingetroffen, nur benutzt werden sie nicht – es fehlen die Programme. So dienen die Geräte nun zur Hut- und Aktenablage in den Ämtern, stellte die Gazeta Wyborcza inzwischen sarkastisch fest.

Doch das ist noch längst nicht alles: Polens berüchtigtes Finanzministerium verhedderte sich inzwischen auch noch mehrmals in seinen eigenen Vorschriften. So sieht das Steuergesetz vor, daß die Steuerzahler am Jahresende Ausgaben für die Renovierung von Wohnungen absetzen können. Anerkannt werden solche Ausgaben von den Ämtern aber nur, wenn es sich um Wohnungen handelt, in denen der Steuerzahler Hauptmieter oder Eigentümer ist. Wer die Wohnung seiner Eltern renoviert, geht leer aus. Eine Definition, die durch das Gesetz nicht im geringsten gedeckt ist. Nun stellte sich gar heraus, daß die Steuerzahler ihre Ausgaben für die gesetzliche Haftpflichtversicherung ihrer Autos ebenfalls absetzen konnten. Bekanntgegeben wurde das vom Ministerium aber erst nach dem Stichtag für 1992. Wie auch die Ausführungsverordnungen für das neue Gesetz erst in letzter Minute fertig wurden.

Eigentlich müßte Polens Finanzminister Jerzy Osiatynski für 1993 nun auch neue, der Inflation angepaßte Obergrenzen für die Steuerprogression bekanntgeben. Das tut er aber nicht, weil er so hofft, mit Hilfe der alten Progressionstabelle mehr Geld einzunehmen. Ob er das wirklich braucht, ist offen: schon im letzten Jahr hatte sich das Finanzministerium um 15 Prozent bei der Berechnung des Budgetdefizits verschätzt. Auch diesmal ist die Trefferquote nicht gerade überzeugend. Statt der ursprünglich prognostizierten 65 Billionen Zloty dürfte sich das Haushaltsloch im letzten Jahr trotz des eingeschlagenen Sparkurses nach neuesten Schätzungen auf 82 Billionen Zloty vergrößert haben – das sind knapp acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Keine Frage, die Regierung will neben Ausgabenkürzungen vor allem mit den Steuereinnahmen den Staatshaushalt konsolidieren.

Finanzministerium verstößt gegen eigene Gesetze

Schlimmer ist jedoch, daß das Parlament seit 1. Januar das Steuergesetz hätte ändern müssen, um die alten Progressionsgrenzen festzuschreiben. Das hat es aber nicht, womit das Ministerium, wenn es ab 7. Februar die Steuervorauszahlungen für Januar einzieht, gegen sein eigenes Gesetz verstößt. Doch für solche Fälle hat man in Polen immer einen Ausweg; dann wirkt Recht auch schon mal rückwärts. Im allgemeinen verabschiedet der Sejm ein Gesetz, das mit folgender Floskel endet: „Dieses Gesetz tritt ab seiner Veröffentlichung in Kraft, jedoch mit Wirkung ab 1. Januar.“ Die darin enthaltene Vergewaltigung sämtlicher westlicher Rechtsgrundsätze erregt in Polen schon lange niemanden mehr. Wie gut, daß es einen Bund der Steuerzahler in Polen noch nicht gibt.

Dessen baldige Gründung dürfte allerdings ein unbeabsichtigter Verdienst der Finanzbeamten in der Warschauer Swietokrzyska-Straße sein. Die sind nämlich inzwischen sogar dazu übergegangen, ihre eigenen fehlerhaften Gesetze auch noch selbst zu interpretieren – fehlerhaft, versteht sich. So wurden Formulare für die Einkommenssteuer gedruckt, die dem Einkommenssteuergesetz widersprechen, von den Finanzämtern aber nichtsdestotrotz für verbindlich erklärt werden. Die berufen sich dabei auf für teures Geld in Umlauf gebrachte Gesetzeskommentare, die wiederum von den gleichen Beamten stammen, die das Steuergesetz formuliert haben. Sollte die Regierung nun das Recht auf Dekrete erhalten, droht Polens Bürgern eine Ausweitung dieses Katz-und- Maus-Spiels. Dann nämlich werden die Beamten des Finanzministeriums nicht einmal mehr vom Parlament kontrolliert.