Deutsche AKW mit Rohrschaden

Atomkraftwerk Brunsbüttel bis auf weiteres stillgelegt/ Risse im Kühlkreislauf stellen das Sicherheitskonzept in Frage/ Der Superstahl ist nicht hart genug  ■ Von Niklaus Hablützel

Berlin (taz) – Seit August vergangenen Jahres liegt das Atomkraftwerk Brunsbüttel still. Und nach Meinung des schleswig-holsteinischen Energieministers Günter Jansen (SPD), soll es dabei auch noch einige Zeit bleiben. Bei der alljährlich fälligen Routineinspektion des 17 Jahre alten Reaktors an der Unterelbe waren Risse in den Rohren des Kühlkreislaufes entdeckt worden, die dort eigentlich gar nicht entstehen konnten. Das zumindest haben die Hersteller und die Betreiber bisher angenommen. Jansen will nun festgestellt wissen, wie es trotzdem dazu kam – und zumindest bis zur Klärung der offenen Fragen dem Atomkraftwerk die Betriebsgenehmigung versagen.

Eher zufällig sei der Rohrschaden festgestellt worden, heißt es im Kieler Ministerium. Eigentlich sollten nur die möglichen Folgen einer anderen, drei Monate alten Betriebsstörung untersucht werden: ein Notventil hatte sich im Frühjahr regelwidrig und mit solcher Wucht geöffnet, daß das Abdeckgehäuse des Kühlrohres verbeult wurde. Unter der Isolierung entdeckten die Prüfer nun zentimeterlange Risse im Rohr, die mit dieser Panne nicht zu erklären waren. Zum Teil klafften Spalten bis zu sechs Millimeter Tiefe in der 7,4 Millimeter dicken Stahlwand. Peinlich: Denn nach dem Störfall des Jahres 1978 (dem schwersten an westdeutschen Atomkraftwerken überhaupt) war der Reaktor von Brunsbüttel mit verstärkten Spezialrohren nachgerüstet worden, die absolut rostfrei, bruch- und reißfest sein sollten.

Dasselbe Material („Austenit“) ist seinerzeit auch in den Atomkraftwerken Würgassen, Ohu und Philipsburg eingebaut worden. Auch in Würgassen sind schon im Juli 1991 Risse an Kühlrohren festgestellt worden, seit 1. April 1992 läßt das Bundesumweltministerium Leitungen dieses Typs untersuchen. Nur in Brunsbüttel seien aber bisher solche Schäden „in größerem Umfang“ entdeckt worden, sagte Umweltminister Töpfer gestern auf einer in Bonn zusammengerufenen Pressekonferenz.

Die Betreiber, im Fall von Brunsbüttel die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW), stuften solche Mängel bislang in die unterste Kategorie („normal“) ein, was den Kieler Minister Jansen ganz besonders erbost. Er fühlt sich von seinen sozialdemokratischen Kollegen in Hamburg schlicht „unzureichend oder sogar falsch informiert“, ließ er gestern verlauten.

Aber auch in Bonn lösten die Berichte aus Brunsbüttel Betriebsamkeit aus. Die unter den Ummantellungen der Kühlrohre offenbar nur schwer feststellbaren Rohrrisse treffen einen überaus sensiblen Punkt des Sicherheitskonzepts deutscher Atomkraftwerke: ein Leck im Kühlsystem würde noch im harmlosesten Fall Radioaktivität in der unmittelbaren Umgebung freisetzen, nach einem Verlust des Kühlwassers wäre sogar eine Kernschmelze, der nicht mehr beherrschbare Super-GAU also, nicht mehr auszuschließen, warnt Lothar Hahn vom Öko-Institut Darmstadt.

Experten aus Töpfers Ministerium reisten gestern nach Brunsbüttel, um das Problem an Ort und Stelle zu erörtern. Ungeklärt ist, ob die Risse in den Stahlrohren – 60 insgesamt wurden festgestellt – die Folge eines Materialfehlers sind. Vergleiche mit den Befunden aus früheren Überprüfungen haben ergeben, daß die Risse immer noch größer werden. Einige Hinweise sprechen offenbar auch dafür, daß der Stahl doch, anders als vom Hersteller versprochen, dem Dauerbetrieb eines Atomkraftwerks nicht standhält. In den Kühlwasserrohren des Reaktors vom Brunsbütteler Siedewasser-Typ herrscht bei Vollbetrieb ein Druck von etwa 70 Atmosphären.

Töpfer will das abschließende Ergbnis der Untersuchung abwarten, sagte er gestern. Konsequenzen seien „gegebenenfalls“ zu ziehen, sehr weitreichend dürften sie kaum sein. Denn für Töpfer stand jetzt schon fest, daß „eine Gefahr nach bisherigem Erkenntnisstand nicht gegeben ist“.