Numerus clausus für Kassenärzte in Kraft

■ Eine freie Niederlassung war nach altem Recht nur noch bis Sonntag möglich. Die Ständevertretungen machen jetzt mobil gegen diesen "Eingriff in die Berufsfreiheit"

Numerus clausus für Kassenärzte in Kraft

Von „Berufsverbot“ ist die Rede, die Ärztelobby Marburger Bund startete gar eine Initiative, um ein „Fenster in das Gefängnis der Niederlassungssperren (zu) brechen“. Die markigen Worte der Ärzteschaft richten sich gegen die Zulassungsbeschränkungen für Kassenärzte, die ihnen das Gesundheitsstrukturgesetz beschert hat. Betroffen sind Ärzte, Zahnärzte und Psychiater. Sie müssen künftig damit rechnen, nicht mehr dort eine Praxis eröffnen zu können, wo es ihnen beliebt. Möglicherweise wird ihnen der Zugang zur Kassenzulassung wegen „Überversorgung“ ganz versperrt. Denn eine Kassenzulassung dürfen die Zulassungsausschüsse seit dem 1. Februar nicht mehr vergeben, wenn sie feststellen, daß ein Bezirk mit Ärzten bereits „überversorgt“ ist.

Die Ärzteschaft ist über diesen „Eingriff in die Berufsfreiheit“ empört. Ärzte wie Zahnärzte wollen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Aufgrund des Urteils des Bundesverfasssungsgerichts von 1960, das die damals bestehenden Zulassungssperren für verfassungswidrig erklärte, rechnen sie sich durchaus Chancen aus. Am Mittwoch dieser Woche will der Marburger Bund ein verfassungsrechtliches Gutachten vorlegen. Geklagt werden kann aber erst, wenn einem Arzt oder Zahnarzt aufgrund der neuen Regelung die Niederlassung versagt wird.

Über den entsprechenden Bedarfszahlen für die einzelnen Fachgruppen brütet gegenwärtig der „Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen“. Das Gremium legt für die in sogenannte Planungsbezirke eingeteilten Gebiete fest, wie viele Ärzte die Bevölkerung braucht. Die Bedarfszahlen sollen am 9. März veröffentlicht werden; das letzte Wort hat dann Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU).

Der hatte zwar bei der Verabschiedung des Gesetzes im Dezember darauf hingewiesen, daß 60 Prozent der Planungsbezirke offenzuhalten seien, aber wie diese Rechnung aufgehen soll, ist noch ein Rätsel. Auch der Marburger Bund appellierte an den Bundesausschuß, bei der Festlegung der Verhältniszahlen dafür zu sorgen, daß fünfzig Prozent der Planungsbezirke weiterhin offen bleiben. Voraussichtlich wird die neue Regelung in den Ballungsgebieten jedoch zu einem sofortigen Niederlassungsstopp führen. Nach Einschätzung des Präsidenten der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, dürfte auch im übrigen Bundesgebiet bis Ende des Jahres alles besetzt sein.

Bis zum 31. Januar 1993 war eine Niederlassung als Kassenarzt noch nach altem Recht möglich. Da 92 Prozent der BundesbürgerInnen gesetzlich krankenversichert sind, ist eine Kassenzulassung von existentieller Bedeutung; von PrivatpatientInnen allein kann kaum eine Praxis leben. Über die Kassenärztlichen Vereinigungen brach in den letzten drei Monaten eine regelrechte Antragsflut herein. Daß er mit der Neuregelung einen Zulassungsschub auslösen würde, der völlig gegenläufig zur Absicht des Gesetzes ist, hat Seehofer offenbar nicht einkalkuliert. In Köln gingen bis Mitte Januar 400 Anträge auf Neuzulassung ein, in Bremen waren es 120, in Berlin Ende Januar sogar 1.000. Uwe Preusker, Sprecher des Marburger Bundes, schätzt, daß die Zahl der Anträge auf Neuzulassung „in die Dimension von 10.000 geht“. Das entspricht bei bundesweit 90.000 niedergelassenen ÄrztInnen einer Zunahme von mehr als zehn Prozent.

Für kritische Ärzte wie Ellis Huber sind die Zulassungsbeschränkungen eine „politische Fehlentscheidung“. Auch nach Ansicht des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte ist eine Begrenzung der Ärztezahlen kein Heilmittel gegen steigende Ausgaben im Gesundheitswesen. „Nicht primär die Zahl der Ärzte, keine sogenannte Ärzteschwemme, sondern deren Medizinverständnis und -praxis verursachen unnötig hohe Kosten und führen potentiell zu mehr Krankheit anstelle von Gesundheit“, heißt es in einer Stellungnahme. Das Einzelvergütungssystem belohne nicht die Heilung, sondern das Krankerhalten und provoziere Indikationen, nur um entsprechende ärztliche Leistungen abrechnen zu können.

Eine Medizin, die das Gespräch mit den PatientInnen in den Mittelpunkt stellt, fordert auch der Nachwuchs. Thomas Isenberg, Sprecher der „Koordinierungsgruppe von Studenten und Ärzten zu Fragen des Gesundheitswesens“, ist überzeugt, daß die „zuwendungsorientierte Medizin“ langfristig Kosten spare, auch wenn dafür mehr Ärzte notwendig seien. Nicht das Ärztehonorar sei das Problem, sondern das überflüssige Anordnen von Untersuchungen und Verschreiben von Rezepten.

Kritik gibt es aber nicht nur am Prinzip der Zulassungsbeschränkung, sondern auch am Verfahren. Daß die Bedarfszahlen „grob geschnitzt“ sind, gibt selbst der Geschäftsführer der kassenärztlichen Bundesvereinigung, Rainer Hess, zu. „Das kann an den Realitäten vorbeigehen. Eine statistische Überversorgung muß nicht realer Überversorgung entsprechen.“ Zwar würden künftig die Ärzte gleichmäßiger verteilt, aber Hess schließt nicht aus, daß es in angeblich überversorgten Gebieten künftig zu erheblichen Wartezeiten kommen kann. Nachteile für die PatientInnen sieht auf lange Sicht auch Uwe Preusker. Der Transfer neuer Methoden vom Krankenhaus in die Praxen werde sich verzögern, weil die frisch ausgebildeten ÄrztInnen über mehrere Jahre kaum eine Chance zur Niederlassung haben. Auch der Druck auf die etablierten ÄrztInnen, ihren Service zu verbessern oder sich fortzubilden, nehme dadurch ab. Dorothee Winden