piwik no script img

■ Impressionen von der Internationalen SüßwarenmesseSinnentleertes Naschwerk

Köln (taz) – Der deutlichste Trend auf der diesjährigen Internationalen Süßwarenmesse (ISM), die am Donnerstag in Köln zu Ende geht, war der „Genuß ohne Geschmack“, in Fachkreisen auch „Genuß ohne Sinn und Verstand“ genannt. Die Rede ist von der Light-Süßigkeit, dem sinnentleerten Naschwerk für den kleinen Frust am Nachmittag. Grenzenlos erscheint uns die Leidensfähigkeit mancher MitbürgerInnen, die das Naschen mit der Einnahme von Medikamenten gleichzusetzen scheinen. So weist der Süßwarenhersteller Katjes auf der Rückseite seiner light-rosa „Lightjes“-Verpackung dezent auf die abführende Wirkung seines Zuckeraustauschstoffes Maltitsirup hin. Die 100-g-Packung, so gesteht ein Vertreter, habe man wegen zahlreicher Durchfallmeldungen vom Markt nehmen müssen. Nun gibt es nur noch die 75-g-Version, die den Gang zur Toilette erleichtert und zudem im Anbiß ein zartes Hustensaftaroma entwickelt.

Besonders Frauen, so weiß man am Stand der italienischen Bonbonfirma „Záini“, greifen gerne zu Produkten ohne Zucchero. Doch so recht überzeugt vom Geschmack dieser Ersatz-Surrogat- Konzentrat-Austauschprodukte sind auch die Hersteller nicht. Albert Zumbe, der für die Firma „Meltis“ die „sugar free revolution“ ausruft, steht mit bittendem Gesicht vor seinen Schokotäfelchen und fragt: „Schmeckt es nicht wie echte Schokolade?“ „Wie bitte“, verschluckt sich die Repräsentantin des Praliné-Herstellers Nougalet aus Südfrankreich und belehrt die Messebesucher: „Schokolade ohne Zucker gibt es nicht. C'est pas du chocolat!“ Mitleidig drückt sie auf einen Schalter, mittels dessen sich der pilzförmige Glasdeckel öffnen läßt, der „Chocolat garni et praliné“, die wahre Lehre also, vor dem Zugriff des Absahner-Pöbels schützt.

Scham- und Geschmacksgrenzen scheint es auf dieser Süßwarenmesse nicht mehr zu geben. So bietet z.B. ein dänischer Weingummifabrikant mit dem irrsinnig originellen Namen „Bonbon“ „die witzigsten Süßigkeiten der Welt“ an. Und tatsächlich ist sein Stand in Halle 1 ständig von kichernden Messebesuchern umlagert, die sich gar nicht sattsehen können an den dicken Weingummibrüsten.

Zuwenig Beachtung fanden leider die lustigen Fruchtgummi- Trabbis der Firma Fortola aus Magdeburg, die neben einem launigen Werbeslogan „Ein Stück Zeitgeschichte. Denn Ossis wie Wessis haben ihn zum Fressen gern“ auch noch eine voll im Nostalgietrend liegende 70er-Jahre- Verpackung zu bieten haben.

Allein in der Bundesrepublik wurden 1992 mit Süßwaren ca. 20 Milliarden DM umgesetzt, belehrt uns der Messekatalog. Doch wie stets bei Fachmessen verläßt der Laie den Saal letztendlich staunend und ratlos: Was ist ein Schokoladehalberzeugnis? Was haben die Iren bloß mit diesen neuen 50-g-Weingummiratten vor? Dauerbackwaren – wie lange noch? Anne-Béatrice Clasmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen