Montags gibt's die meisten Leichen Von Andrea Böhm

Los Angeles hat es schwer genug, den Ruf einer großstädtischen Apokalypse abzuschütteln. Jetzt rückt die Stadt der Engel auch noch in die Nähe eines gefährlichen Datums: Im April 1992 brannte South Central, und seit ein paar Tagen macht sich in den Medien voyeuristische Jahrestagsspannung breit – verknüpft mit der unterschwelligen Erwartung, daß es ein paar brennende Reifen zum Revoltengeburtstag schon sein dürfen. Wo doch gerade der zweite Prozeß gegen die vier weißen Polizisten begonnen hat, die den schwarzen Autofahrer Rodney King halb tot geprügelt haben. Ihr Freispruch vor bald einem Jahr hatte die eben zitierten Folgen. Exzellentes Drehbuch für ein Déjà-vu also.

Die Stadtverwaltung tut nun, was eine anständige Stadtverwaltung tun muß. Sie sorgt für schöne, gute, fröhlich und optimistisch stimmende Nachrichten.

Da wäre zum ersten eine verkehrspolitische Revolution zu vermelden: Die Stadt der Engel und Autos, der Drive-in-Banken, Drive-in-Restaurants und Drive- by-Shootings (Schießen aus dem fahrenden Auto – meist mit einer Maschinenpistole) hat seit letzter Woche eine U-Bahn – oder besser gesagt: ein U-Bähnchen mit einem Liniennetz von sieben Kilometern, was auf insgesamt 43 Kilometer ausgebaut werden soll. Da lacht der New Yorker nur trocken, aber für den Bürgermeister von Los Angeles, Tom Bradley, ist die späte Entdeckung des öffentlichen Nahverkehrs unwiderlegbares Indiz, daß auch seine Stadt jetzt auf dem Weg ins 21. Jahrhundert ist.

Auf anderem Gebiet darf Los Angeles wahrhaftig das Etikett „Avantgarde“ in Anspruch nehmen. Wie an dieser Stelle bereits vermeldet, will die Stadt jugendliche Bandenmitglieder ab 13 Jahren mittels Schocktherapie von den lethalen Folgen ihres Tuns abhalten. Den Kids soll bei Führungen durchs Leichenschauhaus vorgeführt werden, wo man endet, wenn man bei einem Drive- by-Shooting auf der falschen Seite steht. Führungstermine sind vorzugsweise am Montag angesetzt, weil es dann am meisten Leichen zu sehen gibt: Am Wochenende wird in Los Angeles mehr geschossen als an Werktagen. Eine Verschärfung der Waffengesetze könnte vielleicht helfen, aber da steht die „National Rifle Association“ davor.

Doch nun kommt für das rufgeschädigte L.A. Hilfe von außen. Ebenfalls von einem Leichenbeschauer, aber in diesem Fall ist es keiner aus Los Angeles County, sondern Steve Nawojczyk aus Little Rock, Arkansas. Ganz recht – jene niedlich provinzielle Stadt mit 170.000 Einwohnern, die bis vor kurzem Bill Clinton beherbergte. Hier hat sich in den letzten fünf Jahren die Mordrate verdoppelt – und entspricht, umgerechnet auf die Bevölkerung, jetzt der von Los Angeles und New York. Verzeichnete Nawojczyk 1987 noch 37 Mordopfer, so waren es 1992 bereits 61. Aus Kinderbanden mit Baseballschlägern und Springmessern sind inzwischen Drogengangs mit Marktanteilen am Crackmarkt und jeder Menge halb- und vollautomatischer Waffen geworden. Und so kann Tom Bradley ab sofort behaupten, daß es in Little Rock genauso gewalttätig zugeht wie in Los Angeles. Aber in Little Rock haben sie keine U-Bahn.