Boykott der Mullah-Diktatur

„Ein Kulturboykott des Iran kann nur seinen herrschenden Mullahs gelten“  ■ Von Freya Klier

Im Januar 88, die Opposition hinter der Mauer wurde gerade abrasiert, rief ich zu einem Kulturboykott der DDR auf. Es war ein Schrei aus höchster Not, ein Appell an die wenigen Glaubhaften jenseits der Elbe, die unseren Machtorganen noch nicht in den Armen lagen.

Es war der Zorn über einen Kulturboykott, der bereits existierte: der Boykott der Opposition, der mühsam unabhängigen, staatskritischen DDR-Kultur. Denn als der große Entspannungskomet „Wandel durch Annäherung“ über die Mauer rauschte, um den Widerstand im Osten plattmachen zu helfen, da fand sich in seinem Schweif auch das deutsch-deutsche Kulturabkommen. Ein aus Worthülsen gedrechselter Deal zwischen Stalinisten, die ihr angeschlagenes Renommee aufzupäppeln trachteten, und eitlen Westschwätzern, die sich fortan als Schutzschild vor die ZK-Genossen stellten und jeden ihrer Bücklinge als sensationellen Entspannungserfolg präsentierten.

Sensationell waren sie, die gegenseitigen Funktionärsvisiten, das Mauscheln mit der östlichen Nomenklatura, das zunehmende Drängeln vor der Eingangspforte ihrer Hofkunst-Akademie. Ein sensationelles Ausmaß an deutscher Rückgratlosigkeit. Der Drang, mit den Ost-Fundamentalisten zu kungeln, nahm derart manische Züge an, daß sich bundesdeutsche Kultureinrichtungen schon bald zu Erfüllungsgehilfen degradierten: Angesehene Verlage verhängten Publikationsverbote über DDR-Renegaten – nach einer Wunschliste des Zentralkomitees. Das allein bestimmte nun auch, welcher Ost-Regisseur von bundesdeutschen Bühnen zu meiden, welches Ost-Bild keine West- Wand berühren, wer sich als Perle auf die Kette der Städtepartnerschaft fädeln durfte.

Es war ein gründlicher Boykott, ein Kotau vor der Oder/Elbe-Diktatur, wie er beflissener nicht hätte vollzogen sein können. Die Medien überschlugen sich vor Elogen, und wer nicht mittat, war Entspannungsfeind. (Ganz nebenbei wurden jene Bundesländer, die unsere Diktatur am kaltblütigsten in eine wachsende Demokratie umlogen, von den Genossen mit Wirtschaftsvorzügen belohnt; winkte dem Künstler, der die „neue DDR-Politik“ am heftigsten lobte, sogleich eine Ost- Tournee.) Dieser Boykott war eine der schmerzhaftesten, eine fast traumatische Erfahrung der DDR- Exilanten (in West wie Ost die „Ewiggestrigen“ genannt). Ein Trauma auch für jene in den Mauern ausharrenden Künstler, die nicht bereit waren, der Herrschaftsclique die Füße zu küssen – um einer Reise willen, eines Gastspiels, einer Ausstellung beim „Klassenfeind“. Schönfärberei war angesagt, und wer die störte, wurde mit Boykott bestraft.

Nun bahnt sich ein neuer Kulturkomet an, und diesmal soll er in der Mullah-Gruft landen: Wird der Westen diesmal genauer hinschauen? Der Iran, eine Diktatur wie das Land meiner Geburt, ist immerhin um ein Vielfaches blutiger. Unruhig streift mein Blick über die wenigen Landesregierungen, die sich dem Kulturabkommen widersetzen. Werden sie durchhalten mit ihrer Verweigerung, haben wenigstens sie aus der vergangenen Jämmerlichkeit gelernt? Mit der Wirtschaft ist nicht zu rechnen, die hat den Mullah- Staat bereits uminterpretiert – paßgerecht fürs Gewissen, zuträglich dem Geschäft. Nach China nun auch der Iran...

Wo aber bleibt unser Protest – soll Rushdie sich die Stimme aus dem Hals schreien?

Und nun, statt des Protestes, das Unfaßbare. Ich lese: Die Aufweichler wittern „entspannende“ Morgenluft. Schon finden sie den Iran bildungsmäßig weit durchlässiger als England, könnten sich ja in einem Teheraner Goethe-Institut iranische Intellektuelle zum Widerstand zusammenfaxen... Eine nicht mehr hinnehmbare Unsäglichkeit! Nicht nur veredelt sie unsere deutschen Diplomaten zu Untergrundkämpfern (eine Utopie, für die es nun wirklich keinen realen Boden gibt), sie verweist auch auf die noch immer nicht vollzogene Beschäftigung mit den Machtmechanismen einer Diktatur. Die eigene Lernunfähigkeit dann auch noch als „Realpolitik“ zu verkaufen, gleicht der Verniedlichung eines tödlichen Apparates, wie sie wohl nur ein weich gebettetes Westkind vom Stapel lassen kann. Langsam sollte zum Grundwissen gehören, daß man Diktaturen durch „geschickte Diplomatie“ nicht aufweicht, sondern stabilisiert. Daß mit jeder Annäherung an die Mullahs, Dengs und all die anderen Scharfrichter dieser Welt die Menschenrechte im jeweiligen Land noch rabiater in die Kulisse gebolzt werden. Daß liberale Tünche – und nichts anderes sind Kulturabkommen mit Diktaturen – jeden Aufbruch im Landesinneren ersticken hilft... das, so hatte ich gehofft, sei die verdaute Lehre aus der Kungelei mit osteuropäischen Herrschaftscliquen.

Widersetzen wir uns allen Versuchen, uns ein „Tauwetter im Iran“ vorzugaukeln. Gewöhnen wir uns nicht an das Ungeheuerliche – denn fassen nicht auch wir bereits den Mordaufruf am Verfasser der „Satanischen Verse“ dramaturgisch in Jahrestage?

Hüten wir uns, diesen Mordaufruf als letzte Hürde einer Annäherung an die iranische Fundamentale hinzunehmen – er ist nur das scharfgezackteste Rädchen einer Todesmaschine, in deren Innerem bis zum heutigen Tage eingekerkert, gefoltert und hingerichtet wird, Schriftsteller nicht ausgenommen. Was zählt ein Mensch? Das Händeschütteln auf Perserteppichen ist ein Wandeln auf Knochen. Und wir wissen es, jede(r) von uns. Ein Boykott der staatlichen iranischen Kultur (und damit die weltweite Ächtung) ist das mindeste, was den mörderischen Mullahs entgegenzusetzen ist.

Wie aber müßte der aussehen? Zwei untaugliche Versuche haben wir hinter uns, zwei Versuche, die stets auf Kosten der Opposition eines Unrechtsregimes gingen:

1.Das „entspannende“ Maulstopfen osteuropäischer Intellektueller, um deren Herrscher milder zu stimmen. Gebacken aus der naiven Hoffnung, die würden sich dann selbst das Wasser abgraben (eine Illusion, hinweggefegt von der Wirklichkeit).

2.Den Boykott eines ganzen Landes wie Südafrika. Eine Art Sippenhaft also! Denn mit diesem Landesboykott traf man nicht nur die Kopfeten der Apartheid, sondern deren Gegner gleich mit. Indem man die ganze weiße Hautfarbe Südafrikas pauschal in den Boykott-Topf warf, hat man vor allem jene Weißen in die Resignation getrieben, die – in ihrem Aufbegehren gegen die Rassentrennung – auf Unterstützung von außen dringend angewiesen waren.

Nein, ein Kulturboykott des Iran kann nur seinen herrschenden Mullahs gelten. Jenen Fundamentalisten, die Mordaufrufe sanktionieren, Killerkommandos ausschicken, ihre Vernichtungsagenturen als europäische Botschaften tarnen. Die im Innern des Landes Literaten verhaften, deren Werke nicht den „islamischen Moralwerten der Gesellschaft“ entsprechen, die Redaktionen kleiner, um Liberalität bemühter Zeitungen stürmen und demolieren lassen, unliebsame Schriften einstampfen wie Menschenrechte. Denen keine Hand!

Stärken sollten wir jene Schriftsteller, die dort um ihr Leben balancieren müssen, mutige Frauen wie Schahrnoosch Parsipour. Sie haben keine Verlage. Stärken sollten wir jene zaghaften Theaterversuche, die Wirklichkeit anders beschreiben als durch die Brille der Mullahs. Oftmals ist es nur ein Aufblitzen, ein verschlüsselter Hilfeschrei, bevor ein Verbot sie wieder verschwinden läßt.

Was hindert das deutsche Theater eigentlich daran, solche Gruppen einzuladen? Was einen deutschen Verlag, zum Beispiel Parsipours „Frauen ohne Männer“ zu übersetzen und zu drucken? Haben wir vergessen, daß das Herausreißen aus der erzwungenen Anonymität die Überlebenschancen in einer Diktatur erhöht? Daß der Beistand mit Gefährdeten auch andere ermutigt, nicht aufzugeben?

Zuhören sollten wir jenen, die ihr Leben, ihre Schreibfähigkeit ins Exil retten mußten. Zuhören sollten wir Salman Rushdie nicht nur, weil er bedroht ist, sondern weil er uns Wichtiges zu sagen hat. Wer aber weder eine Diktatur von innen erlebt hat noch eine solche erahnen kann, der sollte ein Seminar bei amnesty belegen, statt sich in „realer Politik“ zu üben.

Noch einmal: Es gibt keine Liberalisierung in Diktaturen. Es gibt immer nur Scheinaufweichungen, Erpressungsakte und die bemäntelnden Lügen gleichgeschalteter Medien. Doch es gibt auch ihr Ende, ihren Zusammenbruch – das zeigt die Geschichte dieses Jahrhunderts.

Schriftstellerin, Regisseurin, vormals DDR- Bürgerrechtlerin