„Hoffen auf Abreise Frühling“

1935 gewann der jüdische Bürgerschaftsabgeordnete Max Eichholz einen Beleidigungsprozeß  ■ Von Wilfried Weinke

„Es ist ein Grundfehler von uns gewesen, mit denen, die nur die Diktatur anerkennen, über Demokratie zu streiten.“Max Eichholz in der Sitzung der Hamburger Bürgerschaft am 30.9.1930

Im November 1991 wurde im Museum für Hamburgische Geschichte die Ausstellung „400 Jahre Juden in Hamburg“ eröffnet. In dem Ausstellungskapitel zur „Vollendung der rechtlichen Gleichstellung“ fand auch der eingangs Zitierte Erwähnung:

„Max Eichholz (1881–1943) besuchte in Hamburg das Wilhelmgymnasium, studierte mit Promotion und ließ sich als Rechtsanwalt in seiner Vaterstadt nieder. Von 1921 bis 1933 war er ein Abgeordneter der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (seit 1930: Deutsche Staatspartei) in der Hamburger Bürgerschaft. Eichholz wurde 1935 und 1936 als Gegner der Nationalsozialisten verhaftet. 1939 wurde er erneut festgenommen und aus dem Gefängnis 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.“

Ein Leben, ein Schicksal, zusammengedrängt in wenigen Zeilen, zudem lediglich eine bescheidene Paraphrasierung aus dem offiziellen „Verzeichnis der Bürgerschaftsmitglieder 1859–1959, C–G“, jederzeit und für jedermann einsehbar im Hamburger Staatsarchiv. Dabei hätte es nur weniger Anstrengungen und Mühen bedurft, entscheidend mehr Informationen zu diesem jüdischen Bürger und entschiedenen Demokraten Hamburgs zu sammeln und mitzuteilen.

Seit Spätsommer 1963 heißt eine Straße im Stadtteil Bergedorf- Lohbrügge „Max-Eichholz-Ring“. Offenbar anläßlich dieser Namensverleihung durch den Hamburger Senat schrieb Herta Pincas aus New York am 8.5.1964 einen ausführlichen Brief an das dortige Leo-Baeck-Institut. In dem archivierten Brief heißt es: „Dr. Max Eichholz war Rechtsanwalt in Hamburg. Er wurde geboren am 3.Dezember 1881 in Hamburg als Sohn des Uhren-Kaufmanns Franz Eichholz und der bekannten Vorkämpferin der deutschen Frauenbewegung Julie Eichholz, geb. Levi. Max Eichholz hat mit anderen jungen Hamburger Anwälten vor dem ersten Weltkrieg in einem von ihm gegründeten Volksheim in der Arbeiterjugend jahrelang gearbeitet...

Bei Kriegsausbruch 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger, war bis Ende des Krieges an der Ostfront und avancierte, was bei der Artillerie und besonders für einen Juden ungewöhnlich war, vom Gemeinen zum Leutnant, erwarb auch das Eiserne Kreuz 2. Kl. und das Hanseatenkreuz.

Max Eichholz war Demokrat und im Hamburger Parteivorstand. Er hat elf Jahre lang, von 1921 bis 1932, im Hamburgischen Landesparlament als Mitglied der Bürgerschaft gedient. Er war in jener Zeit eines der angesehensten und klügsten Mitglieder dieses Hohen Hauses, ein brillanter und von der Opposition gefürchteter Redner. Er besaß eine bestechende Logik, seine Formulierungen waren außergewöhnlich in ihrer Präzision und Eleganz. Die bildenden Künstler der Stadt besaßen in ihm einen tatkräftigen Förderer... Max Eichholz war ein religiöser und bewußter Jude. Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.), in dessen Hamburger Leitung er war, entsprach seiner deutsch-jüdischen Einstellung. M.E. war ein Mann von ungewöhnlichem menschlichem Format.“

In Hamburg selbst finden sich erstaunliche Materialien, die den Lebensweg Max Eichholz' nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten beleuchten. So bewahrte das Landgericht Hamburg bis zum letzten Jahr eine Gerichtsakte auf, in der Max Eichholz einen Strafantrag gegen einen Berliner Kaufmann gestellt hatte. Dieser Zivilprozeß allein wäre sicherlich nicht erwähnenswert, wäre der Angeklagte nicht SS-Mann und das Urteil vom April 1935 nicht zugunsten von Max Eichholz gefällt worden.

Max Eichholz führte noch nach dem 30.1.1933 gemeinsam mit dem ehemaligen sozialdemokratischen Bürgerschaftspräsidenten Herbert Ruscheweyh eine gemeinsame Anwaltssozietät. Besagter Berliner Kaufmann hatte schriftlich gegenüber Dritten geäußert, daß er es ablehne, „irgendwelche Belehrungen aus dem Munde oder der Feder eines dreckigen Juden entgegenzunehmen“. Am 30.11.1934 stellte Max Eichholz einen Strafantrag wegen Beleidigung. In seiner Begründung schrieb er:

„Ich brauche nicht daran zu erinnern, daß ein Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege bezüglich aller Handlungen, die er als Rechtspflegeorgan vornimmt, eines besonderen Schutzes bedarf, wie man von ihm ja auch die Erfüllung besonderer Pflichten verlangt. Ich möchte auch glauben, daß die Staatsanwaltschaft, wenn sie solchen Schutz gewährt, zwischen Ariern und Nichtariern keinen Unterschied macht. Das würde wenigstens der bisherigen Tradition der Staatsanwaltschaft widersprechen. Herr N. beruft sich bei jeder Gelegenheit auf seine vorzüglichen Verbindungen zu leitenden Personen der NSDAP. Diese Verbindungen dürften einen Freibrief zu strafbaren Handlungen nicht gewähren.“

Auch wenn „sein Vergehen nicht als schwerwiegend betrachtet“ wurde, verurteilte das Amtsgericht in Hamburg den Kaufmann aus Berlin am 1.4.1935 wegen Beleidigung von Max Eichholz zu einer Geldstrafe, eventuell zu zwei Tagen Haft. Seine Tätigkeit als Rechtsanwalt allerdings konnte Max Eichholz nicht mehr lange ausüben. In einem Lebenslauf vom 2.9.1939 schrieb Max Eichholz rückblickend: „Infolge der neuen Gesetzgebung Abbau der Assoziation und Schluß der Anwaltspraxis: 1.12.1938. In den Jahren 1936, 1937 und 1938 dreimal durchschnittlich je zwei Monate im Konzentrationslager gewesen. Zur Zeit berufslos und ohne nähere Verwandte im Inlande.“

Was war in der Zwischenzeit geschehen? Offensichtlich war Max Eichholz wiederholt verhaftet worden, der Brief von Frau Pincas bestätigt dies unter Nennung der genauen Haftzeiten. „Anläßlich der bekannten Aktion“, wie er selbst die Vorgänge der „Reichspogromnacht“ vom 9./10. November 1938 nennt, wurde Max Eichholz wie viele andere männliche Bürger der Stadt Hamburg verhaftet und ins Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Erst am 17.1.1939 wurde er dort entlassen. Seine Freiheit währte wiederum nur kurz. Schon am 10.März 1939 wurde er erneut verhaftet. Die Große Strafkammer 6 des Landgerichts Hamburg verurteilte ihn am 12.7.1939 „wegen Rassenschande“ zu einer Zuchthausstrafe von fünf Jahren, für den gleichen Zeitraum wurden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt.

Max Eichholz wurde Strafgefangener im berüchtigten Zuchthaus Hamburg-Fuhlsbüttel. Seine Personalakte befindet sich heute im Bestand „GefängnisverwaltungII, Ablieferung 10“ des Staatsarchivs Hamburg. Auf dem Deckblatt steht sein Name, ergänzt durch den Zwangsnamen „Israel“. Zusätzlich wurde handschriftlich mit Ausrufungszeichen hervorgehoben, daß Max Eichholz Jude war. Die Akte dokumentiert seine Haftbedingungen im Zuchthaus, seine Korrespondenz, seine Bittgesuche an die Anstaltsleitung, seine Auswanderungshoffnungen bis zu seiner Deportation nach Auschwitz. Unter anderem findet sich hier auch ein Schreiben des Direktors der Universität in Freiburg im Breisgau vom 3.10.1939, der sich beeilte, der Direktion des Zuchthauses mitzuteilen, daß dem ehemaligen Rechtsanwalt Max „Israel“ Eichholz die Doktorwürde entzogen wurde.

Das Urteil des Landgerichts Hamburg trennte Max Eichholz endgültig von seiner Familie. Am 17.8.1919 hatten er und Adele Elias geheiratet, 1920 und 1923 wurden ihre beiden Söhne Günther und Gerhard geboren. Zu deren Lebensweg schrieb Max Eichholz im April 1940 in einem handschriftlichen Lebenslauf im Zuchthaus Bremen-Oslebshausen, in das er zwischenzeitlich verlegt worden war:

„Beide mußten nach der Machtergreifung ihre deutsche Ausbildung aufgeben und ins Ausland gehen. Um sie während des Krieges nicht völlig schutzlos im Ausland zu lassen, entschloß sich meine Frau unmittelbar vor Kriegsausbruch, ihnen zu folgen und trotz völliger Mittellosigkeit ihr Schicksal zu teilen.“

Auf die Frage nach der bisherigen Tätigkeit gibt er „Rechtswahrer“ an. Die Frage „Haben Sie sonstige Wünsche bezüglich der Arbeit?“ beantwortet er folgendermaßen: „Möge mir die Fortsetzung meiner englischen Sprachstudien gestattet werden; neben der Arbeit des Tütenklebens.“ Er war voller Hoffnung, nach seiner Haft zu seiner Familie auswandern zu dürfen. Zum Schluß seines Lebenslaufes schrieb er: „So wartet meine Familie darauf, sich mit mir früher oder später im Ausland wieder zu vereinigen.“

Im Juli 1940 wurde er nach Hamburg-Fuhlsbüttel zurückverlegt. Am 18. November 1940 schrieb seine Frau ihm durch Vermittlung des Roten Kreuzes einen Kurzbrief aus England: „Gerhard Ingenieur-Schule. Leben zusammen. Günther interniert, heiter. Erwarten Konsulats-Aufforderung Dezember. Hoffen auf Abreise Frühling, Treffen Max Chattanooga. Grüße Daisy.“ Ein halbes Jahr später lehnte der Oberstaatsanwalt beim Landgericht Hamburg, Stegemann, Max Eichholz' Gesuche um Gnadenerweis, sprich Erlaß der Reststrafe, ab.

Im März 1942 ersuchte Max Eichholz die Anstaltsleitung Fuhlsbüttel um „Arbeitsgemeinschaft“. Als Begründung gibt er an, daß die fast zweijährige Einzelhaft sehr niederdrückend auf sein Gemüt gewirkt hat.

Das letzte Schriftstück, das von Max Eichholz unterschrieben wurde, trägt das Datum 28.11.1942: ein Bittgesuch an die Antstaltsleitung, auf die Rückseite eines Rotkreuzbriefes 25 Worte schreiben zu dürfen. Die Genehmigung wird am 1.12.1942 erteilt, neun Tage bevor seine Haftzeit in Hamburg-Fuhlsbsüttel endete.

Auf dem Deckel der Personalakte des Zuchthausgefangenen Max „Israel“ Eichholz wurde in deutscher Gründlichkeit das festgesetzte Strafende eingetragen: 18.3.44. Direkt darunter besagt aber ein aufgeklebter Papierstreifen: „Am 10.12. 42 in das Konzentrationslager Auschwitz verlegt. Mit der Abgabe an die Polizei gilt die Strafe als unterbrochen (Erledigung der Vfg. d.RJM. v. 22.10.42 – IVa – 1665/42g)“.

Die letzte Notiz bezieht sich auf eine Vereinbarung vom 18.9.1942 zwischen dem Reichsjustizminister Thierack und dem Reichsführer SS Heinrich Himmler, nach der jüdische Häftlinge der Gestapo zur sogenannten „Sonderbehandlung“, d.h. zur Vernichtung durch Arbeit, in ein Konzentrationslager übergeben werden sollten. Max Eichholz, ehemaliges Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, wurde im Januar 1943 in Auschwitz ermordet.

Gekürzt aus der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung“ vom 28.1.1993