Fairneß ist eine Frage der Definition

Der neue US-Handelsbeauftragte Michael Kantor droht der EG zum zweiten Mal mit Sanktionen/ EG-Kommissar Leon Brittan ist empört und erinnert an unfaire Praktiken der USA  ■ Von Donata Riedel

Berlin/Brüssel (taz/afp/dpa) – Der neue US-Handelsbeauftragte Michael Kantor hat weitere Strafaktionen gegen die EG angekündigt. Ab 22. März sollen EG-Unternehmen in den USA keine öffentlichen Aufträge mehr erhalten. Davon ausgenommen sind lediglich Aufträge nach den Welthandelsregeln des Gatt (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen). Fünf Tage zuvor hatte Kantor hohe Strafzölle auf Stahlimporte aus sieben EG-Staaten und zwölf weiteren Ländern verhängt.

Die US-Regierung will mit dem Auftragsentzug EG-Unternehmen aus den Bereichen Energie und Telekommunikation dafür bestrafen, daß sie, nach US-Auffassung, bei der Vergabe öffentlicher Auftrage in der EG bevorzugt werden. Das, so Kantor, sei eine „Diskriminierung von US-Firmen“ durch die EG.

Seit dem 1. Januar gilt im EG- Binnenmarkt eine gesetzliche Regelung für Dienstleistungsverträge, derzufolge öffentliche Aufträge in den Bereichen Energie, Verkehrswesen und Telekommunikation an EG-Unternehmen vergeben werden, sofern ihre Angebote nicht mehr als drei Prozent teurer sind als die von Firmen aus anderen Ländern.

Der ebenfalls neu für den Außenhandel zuständige EG-Kommissar Leon Brittan kritisierte Kantors Strafandrohung als „einseitigen Gewaltakt“ – zumal derzeit zwischen der EG und den USA genau über diese Richtlinie verhandelt werde. Aus EG-Sicht sei die neue Regelung sogar eine antiprotektionistische Maßnahme, weil zuvor in den Nationalstaaten die Bereiche Energie, Verkehr und Telekommunikation überwiegend staatlich kontrolliert gewesen seien.

Die EG-Kommission zeigte sich außerdem verärgert über das Auftreten Kantors als Ritter für freien und fairen Welthandel. Schließlich gebe es auch in den USA Beschränkungen für ausländische Unternehmen, sagte ein Sprecher der EG-Kommission und verwies auf den Buy American Act, der noch strenger sei als die EG-Gesetze. Danach werden in den USA bei Vergabe öffentlicher Aufträge die heimischen Anbieter bevorzugt, auch wenn sie bis zu sechs Prozent teurer seien als die ausländische Konkurrenz. Bei Aufträgen für Verkehr und Verteidigung dürften die US-Anbieter gar um 25 beziehungsweise 50 Prozent teurer sein als Ausländer.

Die EG, Japan, Kanada und Südkorea hatten bereits die erste protektionistische Maßnahme der Clinton-Regierung als ungerechtfertigt kritisiert. Diese richtete sich gegen Lieferungen von Grob- und Flachstahl im Wert von 2,6 Milliarden Dollar oder rund einem Sechstel des jährlichen US-Bedarfs. Die EG verwies darauf, daß sie für Stahl die Quote ihrer „freiwilligen Exportbeschränkung“ bislang um ein Drittel unterschritten habe.

Auf sogenannte freiwillige Exportbeschränkungen lassen sich viele US-Handelspartner ein, wenn ihnen andernfalls in den USA ein Antidumping-Verfahren drohen würde – und dabei geht es in aller Regel nicht besonders fair zu, wie zwei US-Studien Ende 1991 belegt haben. Bei der Berechnung von Dumpingpreisen und der Zumessung von Strafzöllen blendet die US-Administration nämlich gerne Teile der Wahrheit aus. Das mußten beispielsweise argentinische Schafzüchter erfahren: ihnen wurde von der argentinischen Regierung zwar eine Exportvergütung von sechs Prozent gezahlt, wenn sie die Wolle über einen der südlichen Häfen ausführten (wofür es den US-Strafzoll gab). Gleichzeitig existierte jedoch eine argentinische Woll-Exportsteuer in Höhe von 17 Prozent – die von US-Seite bei der Berechnung des Strafzolls ignoriert wurde.

Antidumping-Verfahren und Strafzölle dienen nach den Studien in den USA (wie übrigens auch in der EG) zuallererst dem Schutz für die jeweils heimische Industrie. Naturgemäß verärgern sie die Handelspartner, die zumeist mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren. Die USA allerdings können sich Handelskriege eher leisten als die EG-Länder, die in weitaus höherem Maße auf den Export angewiesen sind: während in den Vereinigten Staaten acht Prozent der Wirtschaftsleistung in den Export gehen, sind es in der EG zwischen 11 (Spanien) und 57 Prozent (Belgien/Luxemburg).

Deshalb bemühte sich ein EG- Sprecher um Höflichkeit in der transatlantischen Diplomatie: Die EG-Kommission wolle nicht von einem Einschwenken der neuen US-Regierung auf eine protektionistische Handelspolitik reden.