Kinotips

KINOTIPS

Auf einem Rummelplatz kündigt ein Conferencier einen Sensationsdarsteller an. Drei hintereinander aufgestellte Geldschränke soll er auf einem Motorrad überspringen. Der prächtig Angefeuerte fährt an, rammt die Schränke nur, verliert die Kontrolle über sein Fahrzeug und rast mit dem Kopf durch ein Kanzler-Wahlplakat. Als wären Haut und Fleisch von innen nach außen gekehrt, tritt an die Stelle seines Gesichts ein unidentifizierbarer Fleischklumpen. Zu verletzt, um noch zu leben, und mit immer

noch funktionstüchtigen Organen

1ausgestattet, die den Tod aufhalten, wälzt sich der Sensationsdarsteller schreiend am Boden. Nur: Bei diesem Anfang von Christoph Schlingensiefs neuem Film Terror 2000 brüllt keiner vor Schmerz. Vielmehr stößt einer, der nicht aufgepaßt hat, „bildlich“ mit der Macht zusammen und verliert sein Gesicht. Es folgt eine lautstarke Reaktion auf die Übernahme der anderen Physiognomie: Jeder trägt statt seines alten sein „wahres Gesicht“, das dem des bekannten deutschen Verantwortungsträgers

ähnelt. Terror 2000, eine Koppe-

1lung der Ereignisse des Gladbecker Geiseldramas mit deutschen Befindlichkeiten vor dem Rostocker Totschlagversuch durch betrunkene oder ähnlich mental geschwächte Jugendliche, bildet den Abschluß einer Trilogie, die mit 100 Jahre Hitlerzeit — Die letzte Nacht im Führerbunker und dem vieldiskutierten Das deutsche Kettensägenmassaker begann. Schlingensief erzählte darin die Geschichte eines Kommissars, der nach einer verschwundenen polnischen Aussiedlerfamilie fahndet. Die stumpf ge-

hetzte Gesamtbefindlichkeit eines

1Landes schildert er weitgehend ohne die Mischung aus Splatter und Klamauk, die im Kettensägenmassaker noch die Aufmerksamkeit beanspruchte. Kristof Schreuf (Metropolis)

Kristina Söderbaum galoppiert in sodomitischer Verzückung auf dem Schimmel durch die sich zart brechende Brandung, beobachtet wird sie dabei mit verklemmter Lüsternheit von einem „arischen“ Schnauzbart. Vor die maritime Szenerie in Veit Harlans altem Nazi-Streifen tritt 1992 die Rentnerin Annelies Schwarze, ihr Mutterherz schlägt für ihren Sohn, den jungen Regisseur Herbert Schwarze. Von ihm läßt sich Annelies Schwarze in dem melodramatischen Dokumentarfilm Das bleibt — das kommt nie wieder — so eine ihrer Lebensweisheiten — ablichten und in zeit- und kulturgeschichtliche Zusammenhänge stellen. Bereitwillig erzählt sie aus ihrem Leben, was mag sie davon verstanden haben, fragt sich der Zuschauer, der sich vielleicht auch noch an Glühwürmchen und leuchtendes Moderholz erinnert. (Lichtmeß, 6.2., 21 Uhr)

Neu im Kino: (Folgende Filme siehe überregionale Kinoseiten)

Der Reporter von Howard Franklin (Aladin, Passage, Ufa)

Glengarry Glen Ross von James Foley (Streits, OF; UFA)

Mac von und mit John Turturro (Neues Cinema)

taz