Nachschlag

■ Fritz Rudolf Fries las im Literarischen Colloquium

„Der 13. November“ lautet der Arbeitstitel des Werkes, aus dem Fritz Rudolf Fries zwei Kapitel vorstellte und das eigentlich ein Buch über den spanischen Schriftsteller Mateo Alemán werden sollte, und über das Spanien des 16. Jahrhunderts, in dem bekanntlich die Sonne nicht unterging. Nachdem dann ein anderes real existierendes Weltreich untergegangen war, versetzte Fries den Spanier kurzerhand in die Gegenwart und machte ihn zum Mitspieler – oder zur Gegenfigur – des „gewickelten“ Alexander Retard aus dem Roman „Alexanders neue Welten“ (1982), zu dessen Fortsetzung der „13. November“ wurde.

Der als Grenzgänger zwischen deutscher und spanischer Sprache und Kultur vorgestellte Fries – er wurde 1935 in Bilbao geboren, studierte Romanistik und hat u.a. Julio Cortázar ins Deutsche übertragen – verarbeitet in seinen Büchern immer wieder lateinamerikanische und spanische literarische Einflüsse; und so läßt der an diesem Abend vorgestellte Text sich zwei neue alte neue Welten überschneiden: die des spanischen Weltreichs und die des Sozialismus. Kruz erklärte Fries den „Plot“ des zur Hälfte fertigen Werkes, im nächsten Jahr soll es erscheinen: der aktualisierte Mateo Alemán ist nurmehr ein Schatten seiner selbst, nämlich der Lehrer Mateo Alemán, der sich für den Verfasser des „Guzmán de Alfarache“ hält, und der von dem – oder einem – Geheimdienst verhaftet und zur Zusammenarbeit überredet wird. Er erhält den Auftrag zu eruieren, wie der Sozialismus in Europa wieder aufgebaut werden kann. In Ausführung seiner Mission begegnet er dann Alexander Retard, der, nach der Abwicklung beschäftigungslos, Europa als Vortragskünstler bereist.

Die Gegenwart des Mateo Alemán ist allerdings eine janusköpfige, das Nirgendwo eine Widerspiegelung: Der „Geheimdienst“ ist gleichzeitig die Inquisition, zu der dem historischen Alemán Kontakte nachgesagt wurden, im Sevilla des „13. November“ begegnen sich Taxis und Kutschen; der Wiederaufbau des Sozialismus ist auch die Neuerrichtung der spanischen Weltherrschaft. Der Ich-Erzähler verwechselt sich mit dem Verfasser des weltberühmten Schelmenromans und sagt doch: „Ich bin Mateo Alemán. Aber ich bin nicht Mateo de Alemán.“

Der ursprünglich geplante Text sollte, so erklärte Fries, als historischer Roman die Gegenwart beschreiben, der „Ein Bericht“ untertitelte „13. November“ soll darstellen, was seit 1989 passiert ist (am 13. November erklärte Modrow seine Bereitschaft zu einer „Vertragsgemeinschaft beider deutscher Staaten“). Und so heißt der Mitspieler des vergegenwärtigten Alemán dann auch „Retard“, was man hier vielleicht aus dem Französischen übersetzen darf: Verspätung. Iris Michaelis