■ Kempten: Serie von Prozessen gegen mutmaßliche Mafiosi
: Regiment mit eiserner Hand geführt

Kempten (taz) – Es war nur „ein kleines Würstchen“, das am ersten Verhandlungstag den Richtern in Kempten vorgeführt und schon nach knapp acht Stunden abgeurteilt wurde. Doch das Verfahren um den 52jährigen Küchenhelfer aus Catania/Sizilien, der nun für zwei Jahre und drei Monate ins Gefängnis muß, war erst der Auftakt einer ganzen Serie von Prozessen gegen mutmaßliche Mafiosi.

Der Chef des wegen „fortgesetzter Beihilfe zum Rauschgifthandel“ Verurteilten, ein 37jähriger Pizzabäcker, wird im Verlauf der Prozeßserie voraussichtlich im April vor den Richtern stehen. Der Pizzabäcker, der in einer Memminger Pizzeria schwunghaften Waffen- und Kokainhandel betrieben haben soll, ist für Polizei und Staatsanwaltschaft „der große Fisch“.

Vito S. gilt als Nachfolger des vor zwei Jahren verurteilten und nach Italien ausgelieferten Angehörigen des sizilianischen Santangelo-Clans, Salvatore Salamone. Nach einer ersten Verhaftungs- und Prozeßwelle glaubten die Fahnder, die erstarkte Mafia im Allgäu unter Kontrolle zu haben. Doch weit schneller als vermutet hatte sich die ehrenwerte Gesellschaft neu organisiert. Im Frühjahr vergangenen Jahres gelang dann der Polizei ein weiterer Schlag gegen die organisierte Kriminalität. 26 Italiener, überwiegend aus Sizilien, wurden verhaftet. Unter ihnen, mit 200 Gramm Kokain in der Tasche, der genannte 37jährige Pizzabäcker.

Schockiert reagierten die Memminger, als sie hörten, daß eine beliebte und gutgehende Pizzeria die Drogendrehscheibe der Mafia im Allgäu gewesen sein soll. Obwohl die Drogen- und Waffengeschäfte sowie serienweise Schutzgeld-Erpressungen schon zuvor Schlagzeilen gemacht hatten. Denn wo immer in Deutschland über die Mafia geschrieben wurde, das Allgäu wurde als deren Hochburg bezeichnet.

Doch ob bei den jetzt anstehenden monatelangen Verfahren den insgesamt 26 Angeklagten tatsächlich Schutzgelderpressungen nachgewiesen werden können, ist mehr als fraglich. Schon bei der ersten Prozeßserie nämlich „platzte“ ein Zeuge nach dem anderen weg. Und auch jetzt kann sich plötzlich keiner der Gastwirte oder Bauunternehmer mehr an Schutzgeld-Erpressungen erinnern. Die Ermittler beklagen regelrechte „Erinnerungslücken“ bei den Zeugen, die ihres Erachtens schlicht und einfach Angst haben.

Daß sich die Staatsanwälte und Richter von den Verhandlungen – vor allem von dem Prozeß gegen Vito S. – weit mehr erhoffen, wurde schon am ersten Verhandlungstag deutlich. Als beim Prozeß gegen den 52jährigen Küchengehilfen immer wieder Ausschnitte abgehörter Telefongespräche eingespielt wurden, in denen von sogenannten „Kassetten“ die Rede war, erklärte der Staatsanwalt, dies sei der Code für „je ein Gramm Kokain“; ein Code, der vom Hauptbeschuldigten Vito S. verwendet wurde, nachdem dieser von der Abhöraktion Wind bekommen hatte.

Vito S. wurde dann auch bei der Verhandlung gegen seinen Angestellten als der Mann dargestellt, der mit eiserner Hand das Regiment führte. Der Angeklagte selbst wurde deshalb auch nicht wegen bandenmäßigen Handelns verurteilt. Schließlich sei er nur „willenloses Werkzeug seines Bosses“ gewesen, der Kokain gestreckt und verkauft habe.

Sorge bereitet dem Leitenden Oberstaatsanwalt Walter Hofmaier die Tatsache, daß immer mehr südostasiatische Mafiosi Aktivitäten in der Region entwickeln. Die könnten weit schlechter überwacht werden als die Italiener, mit denen man bereits einige Erfahrung habe. Klaus Wittmann