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Trauerarbeit

■ betr.: "Unbehagen an allen Ecken und Enden", taz vom 29.1.93

betr.: „Unbehagen an allen Ecken und Enden“, taz vom 29.1.93

[...] Ich lernte Kerstin vor einem halben Jahr als witzige, kritisch- reflektierende Frau kennen. Sie hatte auf mich eine starke und wärmende Ausstrahlung. Wenn nun FreundInnen von dieser schönen Powerfrau schwärmen und GenossInnen bundesweit Kerstins politische Aktivität betonen, so ist das eine Art der Trauerarbeit der Autonomen, um nicht in der Trauer und Ohnmacht zu versinken.

Daraus Autonomen den Vorwurf zu machen, sie würden Kerstin zu einer Märtyrerin stilisieren, spricht ihnen persönliche Betroffenheit ab. Der Vorwurf, die Autonomen würden den Mord an Kerstin instrumentalisieren, um sich selbst wichtig zu machen, spricht ihnen politische Betroffenheit ab, ist taktlos und verkennt den verzweifelten Hilfeschrei der Linksradikalen. Wenn Autonome sagen: „Jede und jeden von uns hätte es treffen können“, dann fühlen sich nur sehr wenige nichtautonome Linke davon wirklich betroffen. Statt dessen werden die Ausdrucksformen der Autonomen an sich kritisiert, was zeigt, daß die Linke trotz ihrem ganzen Gerede über Toleranz bis heute den Autonomen nicht ihre eigene Kultur (Kleidung, Sprache, Musik, Symbole etc.) zugesteht.

In dem Artikel ist von Unsicherheit und Irritationen über das Motiv des Mordes die Rede. Da wird nicht dem Teil der Szene, der Kerstin selbst angehörte, Vertrauen geschenkt, sondern lieber auf die Gerüchte irgendwelcher anderer Leute, notfalls auch auf die vom Verfassungsschutz, gehört. Und wenn herauskäme, daß es kein faschistischer Mord war – na und? Ich sehe nicht, warum es leichtfertig sein soll, im heutigen Deutschland bei der Ermordung einer Antifaschistin von einem faschistischen Anschlag auszugehen. Davon ausgehen heißt nicht die Wahrheit wissen; und sich gegen die Entpolitisierung des Mordes zu wehren, ist bei einer politisch aktiven Frau, wie Kerstin es war, das mindeste, was sie von uns erwarten kann. Christine aus Bremen

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