Männer im Büro – Ein Neon-Rap

■ David Mamets Theaterstück „Glengarry Glen Ross“ jetzt im Kino

Jack Lemmon redet um sein Leben. Schmeichelt, bettelt, wirbt, lügt, markiert den Erfolgsmenschen, schmiert seinen Kunden Honig um den Mund. Die Angst mobilisiert sein gesamtes Können. Unermüdlich kämpft er an gegen die Niederlage, von der sein Gesicht doch gezeichnet ist. Das Gesicht eines Fossils. Die Falten und Linien um die kleinen, müden Augen herum und den Mund, der immer in Bewegung ist – es sind die Spuren eines Arbeitslebens, die sich tief in das Antlitz des Workaholics eingegraben haben. Jack Lemmon ist Shelley Levene, genannt „The Machine“. Al Pacino tanzt. Seine Waffe sind nicht nur die Worte, er arbeitet mit Händen und Füßen. Seine Kundenwerbung – ein Körperballett.

Manchmal arbeiten die beiden im Team. Ricky Roma und Shelley Levene: ein Duett der Profis, choreographiert wie ein Duell, bei dem die knappen Sätze blitzen wie Degen und die Gebärdensprache den Schlagabtausch, die Winkelzüge und Täuschungsmanöver in ein Stück Musik verwandelt.

Chicago, 80er Jahre. Ricky Roma und Shelley Levene arbeiten mit zwei weiteren Kollegen in einem verkommenen Büro und müssen miese Grundstücke verscherbeln. Wer erfolgreich abschließt, darf bleiben und gewinnt einen Cadillac, auch der zweitbeste behält seinen Job, der Rest muß gehen.

Draußen, hinter den Jalousien regnet es ununterbrochen, rotes Licht flackert, manchmal blaues, an der Wand hängt ein Schild: „Salesmen are born, not made“. Es herscht Rezession in Amerika, man ist entweder drin oder draußen, reich oder homeless. Kapitalismus pur.

Manchmal rattert die Hochbahn durch die Nacht, und manchmal möchte man mit ihr diesem Büro und seinem Neonlicht entfliehen, der Enge, dem Erfolgszwang und der verzweifelten Arbeitswut. Aber es gibt kein Entrinnen. „Glengarry Glen Ross“ ist ein Theaterstück, weiter nichts. Aber ein Theaterstück von David Mamet. „Hanglage Meerblick“ heißt es auf deutsch, wurde mehrfach preisgekrönt und auch hier in diversen Stadttheatern aufgeführt. Regisseur James Foley hat dem beklemmenden Portrait der amerikanischen Gegenwart kaum etwas hinzugefügt; eben darin liegt die Stärke seines Films. Keine Frauen, kein Privatleben, keine Ablenkung. Nur die Männer im Büro, zwischen Aktenschränken, Schreibtischen, Telefonen. Der Versuchung, das Kammerstück in eine aufwendige Inszenierung zu verwandeln, ist Foley zum Glück nicht erlegen. Er hat Schauspieler gesucht und mit ihnen drei Wochen lang geprobt, mit Jack Lemmon und Al Pacino, mit Alec Baldwin als eiskaltem höherem Angestellten, der die Entlassungen androht, Alan Arkin als lethargischem Verlierer und Ed Harris als feigem Großmaul. Wenn Alan Arkin und Ed Harris Pläne schmieden, klingt es wie Rap. Jack Lemmons Überredungstiraden nehmen sich aus wie eine klassische Jazzimprovisation. Rezitative wechseln mit Arien und Ensembles. Jede Zeile im Krieg der Worte sitzt; Skalpell-Stil. Hätte man das Drehbuch von Mamet auch nur geringfügig verändert, „es wäre, wie Noten aus einer Melodie zu streichen“, sagt Jack Lemmon. Etliche Monologe wurden am Stück gefilmt, mit mehreren Kameras, dem Rhythmus zuliebe.

Man hat dem Film vorgeworfen, er sei zu wenig Kino, bloß abgefilmtes Theater. Als ob letzteres im Zweifelsfall nicht vorzuziehen wäre: ein brillantes Drehbuch, präzise Dialoge, exzellente Schauspieler.

Hundert atemberaubende Kinominuten und dazu noch ein Stück Wahrheit über die Kehrseite des amerikanischen Traums. Der Hollywoodindustrie gelingt so etwas mit all ihrem Aufwand selten. Und wo im Theater läßt sich die Selbstzerstörung eines Menschen allein an dessen Kinnpartie studieren? Die Tragödie des Shelley „The Machine“ Levene erfordert keine Materialschlacht, sondern einzig Jack Lemmons Mienenspiel.

Am Ende steht die Maschine still. Levene stottert nach, ringt um Worte, dann schweigt er. Ein Heldentod ist nichts dagegen. Christiane Peitz

James Foley: „Glengarry Glen Ross“, nach dem gleichnamigen Theaterstück von David Mamet, mit Jack Lemmon, Al Pacino, Alec Baldwin, USA 1992