Und Billy kommt doch

Auftakt der Berlinale. Neues aus China und Afrika  ■ Von Mariam Niroumand

Auch wenn die Pressekonferenz zum Auftakt der diesjährigen Berlinale verschnarcht war wie in jedem Jahr, sah man doch allenthalben wohlwollend nickende Filmjournalisten: Der Wettbewerb hat sich von seiner Amerikahörigkeit gelöst und nur vier Beiträge aus den USA akzeptiert: Danny de Vitos „Hoffa“, das Porträt eines mafiosen Gewerkschaftsbosses, Spike Lees speziell in Neukölln lang erwarteten „Malcolm X“, Jonathan Kaplans schrillen „Love Field“, der ebenfalls die Situation schwarzer Minderheiten behandelt, und Barry Levinsons „Toys“, eine Megaspielzeuglandschaft.

Neuland wird betreten mit zwei Beiträgen aus Afrika, „Sankofa“, einer Koproduktion Burkina Faso, und „Samba Traore“. Erfreulich ist vor allem, daß fünf Filme aus China (davon einer im Wettbewerb) zu sehen sind, die gemeinsam mit der Ausstellung „China Avantgarde“ im Haus der Kulturen der Welt wirklich eine thematische Einführung in die Geistes- und Bilderlandschaft der Volksrepublik nach der Kulturrevolution und nach Tianamnen-Square geben können. Die Filme befassen sich mit der Rolle der Intellektuellen, mit neuen Formen von Liebesbeziehungen, Frauengeschichten und dem Teenagerdasein.

Hört, hört: Auch zwei deutsche Filme laufen im Wettbewerb. Nachdem sich schon auf dem Max- Ophüls-Festival in Saarbrücken abgezeichnet hatte, daß es eine zugkräftige neue deutsche Sachlichkeit gibt, sind mit Detlev „(Karniggels“) Bucks „Wir können auch anders“ und Thomas Mitscherlichs „Die Denunziantin“ zwei repräsentative Beiträge ausgewählt worden. Kein Wort verlor man über die umstrittene Ablehnung von Christoph Schlingensiefs „Terror 2000“ (dem Deutsch-Debakel, für dessen taz-Verriß der Regisseur uns im FAB beleidigt als „die Altlinken von der taz“ tadelte). Kommentieren hätt man's aber doch können – weil solche Themen vermieden werden, sind ja die Pressekonferenzen immer so mühselig.

„Nichts Weltbewegendes im deutschen Spielfilm, dafür um so mehr im Dokumentarfilm“, hat dagegen das Forum des Jungen Films entdeckt. Die Auswahlkommission, nun deutlich bereichert durch taz-Autorin Dorothee Wenner („Salut“!), besah 531 Filme und freut sich vor allem darüber, daß endlich Italien mit drei Beiträgen dabei ist – einem Rosselini- Porträt, einer neapolitanischen Komödie und einem Filmessay.

Ins Fäustchen freut man sich bei der taz-Filmredaktion über die Independents: Auch wenn einiges am Lack von Jon Josts ländlichen Dramen abgeblättert ist, so darf man doch auf seine zwei Beiträge über sexuellen Mißbrauch, „The Bed You Sleep In“, und über Hysterie beim Filmemachen, „Frame-Up“, gespannt sein. Wie man die Position des amerikanischen Linguisten Noam Chomsky im Film sichtbar machen will, ist uns ein Rätsel, aber „Manufacturing Consent – Noam Chomsky and the Media“ zeigt: It can be done. Des weiteren sei heftigst verwiesen auf ein Novum in der Rezeptionsgeschichte des Films, nämlich die interaktive Videoinstallation „Sonata“ – Sie drücken einen Knopf, und der Film verändert sich in die gewünschte Richtung: Soll der Faust das Gretchen haben, was ist Gretchens Begehr etc. Endlich gibt's auch Neues von Boris Lehman, dem belgischen Golem-Fabrikanten, der mit „Babel“ ein sechsstündiges Filmtagebuch vorgelegt hat (wer „A la recherche aux lieux de ma naissance“ gesehen hat, weiß, daß er das völlig unprätentiös, aber trotzdem schillernd macht).

Jedenfalls: Erstmalig widmet sich eine Retro einem ästhetisch- technischen Thema – sehr zu begrüßen das – nämlich dem Cinemascope. Neben Musicals, Western und Science-fiction, Melodramen und den typischen „Antik- Sandalenfilmen“ der Sechziger sind auch Breitwandlinge von Godard, Kurosawa oder Jaques Demy vertreten. Schönerweise findet diese im Filmpalast statt: Berlin-Besuchern sei dessen samtene quadrophonische Totalversorgung aufs schärfste empfohlen.

Der Mann mit den beeindruckendsten Kieferpartien Hollywoods, Gregory Peck, wird in diesem Jahr mit einer Hommage geehrt. „Cape Fear“ und „To Kill a Mockingbird“ waren Titel, die manchen in der Pressekonferenz dazu verleiteten, nur in die Retros gehen zu wollen. Ebenfalls geehrt wird der Schauspieler Conradt Veidt, der im englischen Gegenstück zum Nazi-Hetzfilm „Jud Süss“ von 1940, in Lothar Mendes „Jew Süss“ von 1934, spielte. Daß diese Hommage prompt „Nicht vergessen“ heißen muß, nervt nur ein ganz kleines bißchen. Geehrt wird auch Billy Wilder für sein Lebenswerk, mit dem Goldenen Bären. Entgegen allen Unkenrufen hat er eine Stipvisite zugesagt.

Peinlich für Regisseur und Stadt, daß es nicht gelang, Edgar Reitz' „Die zweite Heimat“ noch vor der Berlinale in Berlin zu zeigen, obwohl er in Frankreich schon längst zu sehen ist. Nun läuft er im Berlinale Sonderprogramm, dreimal acht Stunden lang.

Etwas museal zumut wirds einem bei dem Gedanken, daß in Babelsberg eine Vorführung von „Metropolis“ mit Live-Musikbegleitung stattfinden soll. Ob man sich da wohl so gar nichts Originelleres hätte ausdenken können ? Jedenfalls stehen die Zeichen auf Mordsgaudi.