Stillstand ist Tod

Robert de Niro ist der clevere Winkeladvokat Harry Fabian: „Night and the City“ von Irwin Winkler  ■ Von Christof Boy

Ein Geldautomat in Greenwich Village. Ein Mann tritt vor die Tastatur, zieht seine Karte. Plötzlich ist er von zwei Typen umstellt. Sie wollen ihn zwingen, sofort das Geld rauszurücken, sobald es aus dem Schlitz kommt. Bedauernd zeigt der Mann mit dem Finger aufs Display. Das Konto ist leer. Die beiden Straßenräuber ziehen murrend ab. Zufrieden greift der Mann in seinen Wollmantel und zieht ein Portemonnaie heraus. Er wollte gar nichts abheben. Nur einzahlen. Schon in dieser kurzen Eingangssequenz von „Night and The City“ ist Robert De Niro ganz in seiner Rolle aufgegangen.

Harry Fabian hält sich für besonders clever. Harry ist Anwalt. Seine Freunde nennen ihn einen Winkeladvokaten. Das ist treffender, denn jede seiner Handlungen ist wie ein Schachzug eines koketten Ganoven, der es sportlich findet, seinen Kopf im letzten Moment aus der Schlinge zu ziehen. Das Leben, diesmal ist es ein Boxkampf, und Harry Fabian weicht schon einem Haken aus, bevor überhaupt die erste Runde eingeläutet wird.

Robert De Niro ist Materie. Pure Energie, Sehnen, Nervenstränge, Muskeln, die unter der Kontraktion jeden Moment zu platzen scheinen. Doch die Annahme, Rober De Niro lasse sich in fast jeden Menschen verwandeln, ist falsch. Er ist kein Chamäleon: ob drahtig wie Max Cady in „Cape Fear“ oder aufgeschwemmt wie Al Capone in die „Unbestechlichen“, es ist nur eine andere Stufe desselben Zustandes – der totalen Anspannung. Im Hexenkessel des eigenen Tuns ist er gefangen. Sein Antrieb entspringt dem unbestimmten Gefühl, voranschreiten zu müssen. Er existiert nur in der Bewegung. Stillstand wäre Tod. Harry Fabian fürchtet sich davor. Also macht er ruhelos weiter, selbst in der Ausweglosigkeit.

„Night and the City“, Irwin Winklers zweiter Film als Regisseur, wäre nichts ohne Robert De Niro. Eine durchschnittliche Story, eine konventionelle, manchmal sogar rührend dilettantische Inszenierung und doch ein guter Film. Denn Irwin Winkler hat zwei Entscheidungen getroffen, die alle anderen Fehler mehr als aufwiegen: Obwohl der Film ein Boxfilm ist, wird außer ein paar choreographierten Trainingssequenzen kein Kampf im Ring gezeigt. Und Robert De Niro darf seine fiebrige Unruhe, die jeden Stillstand verachtet, bis auf die Spitze treiben. Niemals gönnt er sich Ruhe. Sogar bei seiner Geliebten Helen, gespielt von Jessica Lange, vibrieren seine Füße in den Schuhen. Immer haftet etwas Zwingendes an ihm, das ihn zum nächsten Schritt treibt, und sei es nur die nagende Gewißheit, daß das Leben nur dann zu etwas taugt, solange man es ändert.

Natürlich sind die Bemühungen Harry Fabians, sein Fortbewegen in einer Welt, die ebenfalls kein Zögern kennt, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Seine Ausbrüche an Energie und Entschlossenheit laufen ins Leere. Ihm dabei zuzusehen ist schmerzhaft und spannend. Denn erst im Scheitern entsteht seine wahre Größe – Mensch zu sein. Harry Fabian träumt vom schnellen Geld. Einer seiner Fälle bringt den Anwalt auf die Idee, es nebenbei als Boxpromoter zu versuchen. Die Verpflichtung einiger Champions, die Anmietung einer Halle, die Werbekampagne für die Veranstaltung, mehr scheint nicht vonnöten zu sein, um den Traum zu verwirklichen. Doch in seinem emsigen Bemühen, Geld für die Unternehmung aufzutreiben, bringt er alle gegen sich auf: er brüskiert „Boom Boom“ Grossmann, den Monopolisten im Boxgeschäft, und hintergeht seinen besten Freund Phil und dessen Frau. Als er auch noch so dreist ist, sich von ihm Geld zu leihen, erfährt Phil über einen Denunzianten von Harrys heimlichem Verhältnis zu Helen.

Die Spielzüge, die Harry bis dahin zu beherrschen schien, kehren sich nun gegen ihn. Je größer seine Entschlossenheit wird, das Geschäft mit dem Boxspektakel zum Abschluß zu bringen, um so klarer wird die bevorstehende Niederlage. Robert De Niro ist längst geschlagen wie ein angezählter Boxer im Ring. Doch er kämpft weiter. Dumpf schleppt er sich durch eine Welt, die er nicht mehr unter Kontrolle hat. Das war auch in De Niros früheren Filmen sein stärkster Ausdruck. Es ist keine Ahnungslosigkeit, eher schon eine Weigerung, sich der Tatsachen bewußt zu werden. Warum sollte er auch diesen Zustand einer wachen Bewußtlosigkeit ändern, solange ihm andere diktieren wollen, daß nur der Wunsch zu leben schon ein Laster ist?

Irwin Winkler: „Night and the City“, mit Robert De Niro, Jessica Lange, Alan King Warden