: Finanzpoker verdeutlicht Interessenlage
■ Wie viele Milliarden aus welchen Kassen in den Osten fließen - bei diesem Thema kreuzen sich die Konflikte zwischen Bund und Länder sowie zwischen Ost- und West-Bundeslädern
Es ist leicht vorstellbar, wie den Landesvätern, gleich welcher politischer Couleur, bei der ersten Lektüre des 47-Seiten-Papiers von Theo Waigel die Haare zu Berge gestanden haben müssen. Auf Seite 24 kommt es gleich Schlag auf Schlag: auf 16 Milliarden beziffern sich allein die Mehrausgaben der Länder ab 1995, weil der Bundesfinanzminister den Personennahverkehr vom Bund auf die Länder schiebt und die Länder an der EG- Finanzierung beteiligt. Noch einmal 10 Milliarden sollen die Länder durch die Neuverteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern draufzahlen.
Das Waigelsche „Föderale Konsolidierungsprogramm“, auf das sich die Solidarpaktdebatte derzeit verkürzt hat, läßt vielleicht wenig föderale Denkweisen erkennen. Immerhin hat es erzwungen, daß in der unendlichen Geschichte um die öffentlichen Finanzen die Interessen klar auf den Tisch kommen. Wie viele Milliarden aus welchen Kassen in den Osten fließen – bei diesem Thema kreuzen sich die Konflikte zwischen Bund und Ländern, zwischen Ost- und Westländern.
Und sie werden zusätzlich überlagert von Parteigegensätzen. Denn die SPD regiert mit, ihre Mehrheit im Bundesrat kann allerdings nur wirksam werden, wenn der Spagat zwischen Brandenburg und den westlichen SPD-geführten Bundesländern gelingt. Daß dieses Kunststück schwer zu bewerkstelligen ist, illustrieren die Reaktionen unionsregierter Länder zum Programm der Bundesregierung. Erwin Teufel, CDU-Ministerpräsident in Baden-Württemberg und normalerweise sehr zurückhaltend bei öffentlichen Auseinandersetzungen mit Helmut Kohl, protestierte gleich via Spiegel: „Das ist der Staatsbankrott.“ Auch Bayern, regiert von Waigels CSU, fühlt sich überfordert. Biedenkopf (CDU, Sachsen), Vogel (CDU, Thüringen) und Diepgen (CDU, Berlin) sind auch nicht einverstanden, aber aus entgegengesetzten Gründen. Sie wollen mehr Geld für den Osten, ihr wichtigstes Reizthema: die knappen 1,5 Milliarden Investitionspauschale für die ostdeutschen Kommunen statt der geforderten 8 Milliarden für die neuen Länder im Nachtragshaushalt 1993. In diesem Punkt wissen sich die christdemokratischen Ministerpräsidenten mit Manfred Stolpe (SPD, Brandenburg) einig.
Im Jahre drei der deutschen Einheit sind die öffentlichen Haushalte nach einem Leben auf Pump sanierungsbedürftig. Der Geldtransfer in den Osten muß für den Rest des Jahrzehnts gesichert werden. Der alte Bund-Länder-Finanzausgleich muß unter Einschluß der Ostländer auf neue Füße gestellt werden. Mindestens diese Aufgaben sind zwischen den Ländern und dem Bund zu bewältigen; hinzu kommt die längst nicht mehr nur von der SPD thematisierte „soziale Schieflage“. Aus den Kassen der Sozialversicherungen nämlich fließt der größte Brocken in den Osten: 1992 waren es 47 Milliarden von insgesamt 106 Milliarden. Die Beitragszahler leisten also, verglichen mit Selbständigen, Freiberuflern und Beamten, überproportional hohe Anteile. Zudem ist es ordnungspolitisch mehr als fragwürdig, die gewaltige strukturelle Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern aus der Arbeitslosenversicherung zu finanzieren.
Öffentliche Kassen können nicht bis 1995 warten
Daß bei dieser Gemengelage zunächst ein allgemeines Gegeneinander ausbricht, ist so erstaunlich nicht. So betont denn auch Sachsens Biedenkopf, der das Übermaß an westlichem Pessimismus beklagt, gern den Fortschritt, der in der Diskussion über den Solidarpakt erreicht sei. Ab 1995 sollen, was kaum mehr umstritten ist, verläßlich Jahr für Jahr 110 Milliarden in die neuen Länder transferiert werden, vorrangig zur Finanzierung des Erblastenanteils von etwa 40 Milliarden wird der Solidarzuschlag wieder eingeführt.
Erst dann? Unverkennbar laufen alle Interessen auf den Punkt zu, daß die öffentlichen Kassen nicht bis 1995 auf neue Einnahmequellen warten können. Selbst aus der sparwütigen FDP, deren Vorsitzender fast jeden Tag erklärt, daß neue Steuern Gift für die Konjunktur seien, kommen inzwischen die ersten Signale des Einlenkens. Ob Arbeitsmarktabgabe oder Solidarzuschlag, ein Einnahmeplus könnte mehrere Probleme auf einen Schlag lösen: das Geldloch im Osten könnte gestopft, die soziale Schieflage geradegerückt werden. Die reichen West-Länder sollten aber nicht davor geschont werden, ihre Sparreserven erst einmal auszuschöpfen. Der bayerische Landeshaushalt etwa weist eine Ausgabensteigerung von satten 5,8 Prozent aus. Tissy Bruns
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