Sanssouci
: Vorschlag

■ Henry Rollins in der Passionskirche

Als Kind, gestand Henry Rollins vor Jahren in einem Interview, sei er „hyperaktiv“ gewesen; Ärzte steckten ihn zur Beobachtung in ein Zimmer und gaben ihm Medikamente. Zur Beruhigung und zur eigenen Sicherheit, sagten sie.

Heute heißt die Platte, mit der er auf Tour ist, „The Boxed Life“, und zumindest an der Hyperaktivität hat sich nicht viel geändert. Rollins legt sich ins Mikrophon, als wäre er immer noch Sänger bei Black Flag, als müßte er der Welt beweisen, daß Punk eben doch eine sehr spezielle Form von Gesundheit ist.

Bloß geht es diesmal gar nicht um Punk 'n' Roll, Rock 'n' Roll, Rollins 'n' Roll oder Angrenzendes. „This is a talking record! There is no music on this record“, warnt schon das CD-Cover. Rollins ist mal wieder als... Performance Artist unterwegs, sagen wir mal – in Ermangelung einer besseren Bezeichnung.

Eine Lesung ist es nämlich kaum, die auf so einer Tour stattfindet, auch nicht die eines Beat-Poeten – dazu fehlt diese ganze, mittlerweile mit dem gesamtkulturellen Segen ausgestattete On- the-Road-Mystik. Rollins' hyperventilierendes Sprechstakkato ist auch nicht wie Rap ohne Rhythmus-Maschine, dazu fehlt die Coolness, das neighbourhoodmäßige Hängen mit den Homeboys. Das Ganze ist eher wie Punk-Boulevardsprechtheater, in dem Henry „Hot Animal Machine“ Rollins sämtliche Rollen übernommen hat: die des Taxifahrers, der an notorischem Schlafentzug leidet; die des Flugkapitäns, der seine lustlose Routinedurchsage über irgendeinem gottverlassenen Bundesstaat macht; und natürlich die des müden, jetlag-geplagten Rock'n'Roll-Stars selbst. Mit Method Acting – „I remember the last time I was sane and well-rested and I'll act like that“ – rettet er sich über Schlimmeres hinweg.

Überhaupt ist sein unablässiges Reden auch eine Form der Gegenwehr: Wo andere sich längst auf die Analyse-Couch gelegt hätten, ist Rollins verbal und körperlich immer noch unterwegs – the hardest working man in business.

Wenn das Marx-Brothers-mäßig Lustige an dieser One-Man- Show hier nicht im wünschenswerten Umfang zu vermitteln ist, so mag das nicht nur an der Müdigkeit des Schreibers liegen, sondern auch an den natürlichen Schranken des Printmediums. Leichter hat man es da mit der anderen Seite, dem Zwanghaften, Hysterischen und Humorvollen aus Not, das „The Boxed Life“ auch hat. Bei näherem Hinhören ist es Talking Cure und Rock'n'Roll-Testament in einem: Rollins als Manic Street Preacher, der seinen Job tun muß und nicht nein zur Arbeit sagen kann. In Ewigkeit Amen. Thomas Groß

Henry Rollins spielt heute um 20 Uhr in der Passionskirche, Marheinekeplatz, Kreuzberg