„Im Heim ist es wie in einem Gefängnis“

■ In Friedrichshain wurden jugoslawische Kriegsflüchtlinge gegen ihren Willen aus Wohnungen in ein Heim umgesetzt/ Bezirk: Integration von Asylbewerbern hat Priorität

Friedrichshain. Den 10. November vergangenen Jahres wird Dragomir Petrovic nicht so schnell vergessen. Es war neun Uhr morgens, als es an seiner Wohnungstür in der Boxhagenerstraße 33 in Friedrichshain klingelte. Petrovic öffnete, vor ihm standen mehrere Vertreter des Sozialamtes. Binnen vier Stunden, so wurde ihm mitgeteilt, müssen er und seine Familie die Koffer gepackt und die Wohnung verlassen haben. Künftig solle man in einem Heim untergebracht werden, der Umzugs-LKW stehe bereit.

Die Petrovics sind im August vergangenen Jahres aus einem Dorf in der Nähe der bosnischen Kleinstadt Zvornik in die Bundesrepublik geflüchtet. Nach einer fünfzehntägigen Aufnahmeprozedur wurde ihnen vom Sozialamt Friedrichshain die Wohnung in der Boxhagenerstraße zugewiesen. „Von einer zeitlichen Begrenzung war nicht die Rede“, sagt Dragomir Petrovic, im Gegenteil: Das Sozialamt habe sogar veranlaßt, daß Kohlen bestellt wurden, damit die Familie einigermaßen warm über den Winter kommt. Warum sie die Wohnung verlassen mußten, weiß Petrovic nicht: „Die haben uns nichts gesagt, außer daß wir umziehen müßten.“ Mittlerweile sind die Petrovics in einem 30 Quadratmeter großen Zimmer untergebracht, in einer zum Flüchtlingsheim umfunktionierten Kita auf dem ehemaligen Narva-Gelände nahe des S-Bahnhofs Warschauer Straße. Einen Stock unter den Petrovics wohnt die Roma-Familie Begovic. Auch sie wurden am 10. November umgesetzt, erzählt Rasima Begovic. Als man sich zunächst weigerte, habe das Sozialamt mit der Polizei gedroht. Als Begründung sei ihnen mitgeteilt worden, daß die Unterbringung in einem Heim für die Familie besser wäre.

Ohne Paß wird nicht eingelassen

Fast alle der mittlerweile 150 im Heim untergebrachten Menschen, weiß Dragomir Petrovic, hätten zuvor in ganz normalen Wohnungen gelebt und wollten so schnell wie möglich zurück, zumal die vorherigen Wohnungen immer noch leerstünden. „Im Heim ist es wie in einem Gefängnis“, klagt Petrovic. „Die Besuchszeit endet um 22 Uhr, und wer seinen Paß nicht dabeihat, wird nicht eingelassen.“

Marianne Schilow vom Ausländerbeirat Friedrichshain hält die „Nacht-und-Nebel-Aktion“ des Bezirks für einen ausgemachten Skandal. „Viele Familien haben über die Zeit freundschaftliche Kontakte zu den Nachbarn entwickelt“, erzählt sie, „aber offenbar ist dem Sozialamt die Integration von Flüchtlingen egal.“ Sie will nun zusammen mit dem Bündnis Friedrichhain die Vorgänge aufklären und fordert deshalb einen Runden Tisch Ausländerpolitik.

Auch Bodo Herlitzer von der Treberhilfe Friedrichshain weiß von positiven Erfahrungen mit den Nachbarn. „Man hat zusammen Kaffee getrunken oder sich beim Einkaufen geholfen“, sagt er. „Die praktizierte Nachbarschaftshilfe war im Grunde eine optimale Bedingung für die Integration.“ Herlitzer ist vor allem über die Art und Weise der Umsetzung verärgert. „Hier wurde über die Köpfe der Betroffenen hinweg gehandelt“, kritisiert er. Wenn dem Sozialamt der geplante Umzug vorher bekannt war, so Herlitzer, hätte man auch angemessener vorgehen können. „Hier wurde eine ganze Menge Porzellan zerschlagen.“ Solch eine Unsensibilität habe er bisher noch nicht erlebt.

Daß die „Umsetzung nicht sehr glücklich verlaufen ist“, räumte nach einem Gespräch mit Herlitzer inzwischen auch der zuständige Sozialstadtrat, Lorenz Postler (SPD), ein. Den Flüchtlingen sei aber von vornherein klargemacht worden, daß der Aufenthalt in den Wohnungen begrenzt sei. „Von der Wohnungsbaugesellschaft wurden uns seinerzeit 30 Wohnungen bis Ende Dezember zur Verfügung gestellt, weil eine andere Unterbringung bis dahin nicht möglich war“, sagte Postler der taz. Von Anfang an habe man mit dem Grundstückseigner des Narva-Geländes in Verhandlungen über die Errichtung einer Sammelunterkunft gestanden. „Eine Heimunterbringung ist für alle Beteiligten günstiger“, meint Postler – für die Flüchtlinge, weil sie dort sicherer seien, und für das Sozialamt, weil den Mitarbeitern auf Dauer die langen Wege von einer zur anderen Wohnung nicht zugemutet werden könnten.

Diese Begründung ist es, die Marianne Schilow wütend macht. Von den 480 Flüchtlingen im Bezirk leben immer noch 51 in normalen Wohnungen, eine Tatsache, die auch Postler nicht abstreitet. „Wenn es keine Probleme gab, haben wir uns bei der Wohnungebaugesellschaft für eine Verlängerung eingesetzt.“ Insgesamt aber, so Postler, habe die Integration von Kriegsflüchtlingen im Gegensatz etwa zu Asylbewerbern im Bezirk nicht die erste Priorität.

Betreiberfirma Sorat ist bekannt im Flüchtlingsgeschäft

Inwieweit die Integration von Kriegsflüchtlingen möglich sei und vor allem, was eine private Unterbringung den Bezirk kostet, ist nun kommende Woche Gegenstand einer Anfrage des Bündnis Friedrichshain für die nächste Bezirksverordnetenversammlung. Die Betreiberfirma „Sorat“, die laut Lorenz Postler zusammen mit der Senatsverwaltung für Soziales bestellt wurde und die vom Sozialamt 35 DM pro Person und Tag bekommt, ist im Geschäft mit Flüchtlingen übrigens keine Unbekannte.

Die Sorat-Gruppe unterhält unter anderem Flüchtlingsheime in Brandenburg, ist im Neubau von Hotelkomplexen in Berlin und am Helenesee bei Frankfurt/Oder tätig und wird selbst vom DRK-Landesgeschäftsführer Bauer als „typisches Beispiel für private Gewinnmaximierung“ bezeichnet. „Doch das“, sagt Marianne Schilow, „interessiert die Bürokratie wenig. Die wollen doch nur die Verantwortung auf eine Privatfirma abwälzen, um mit dem ganzen nichts mehr zu tun zu haben, auch wenn dann alles viel teurer kommt.“ Uwe Rada