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Nippons Schnee-Kids

Der Skirennsport ist in Japan kaum populär, Skilaufen aber der Modesport der Jugend  ■ Aus Tokio Georg Blume

Zum ersten Mal seit den Olympischen Spielen 1972 in Sapporo ist die alpine Skigemeinde nach Japan geladen. Mit einer neuen japanischen Begeisterung für den weißen Rennsport aber haben diese ersten alpinen Skiweltmeisterschaften in Asien wenig zu tun. Tatsächlich fehlt den Japanern bis heute ein berühmter Brettläufer. Skirennen sind deshalb wenig populär. Weshalb die Gründe, das Alpensportereignis diesmal in den Fernen Osten zu verlegen, wenig mit dem Sport und viel mit dem Geld zu tun haben.

Japan ist der mit Abstand größte Skimarkt der Welt. Im Skibereich absorbiert Nippon inzwischen 38 Prozent des gesamten Weltmarktvolumens. Viele Berge und viel Schnee verleiten die Japaner in immer größerer Zahl, auf die Bretter zu steigen: Bereits 12 Millionen Skifahrer und 3 Millionen Gelegenheitsskifahrer zählt das Land – nur das Sportfischen hat in Japan noch mehr aktive Anhänger.

Das Besondere des japanischen Skigeschäfts ist freilich, daß die Japaner im Schnee ganz neue Gewohnheiten entwickeln. Auf allen Gebieten, ob beim Autobau oder der Chip-Produktion, lernten die Japaner begierig vom Westen. Doch westlich einkaufen gingen sie fast nie. Um so mehr muß es also erstaunen, daß ausgerechnet auf dem japanischen Skimarkt die Verhältnisse umgekehrt sind: Dort halten die ausländischen Firmen einen stolzen Marktanteil von 83 Prozent. 1991 exportierte allein Österreich runde 1,1 Millionen Paar Skier nach Japan, ein Drittel der österreichischen Gesamtproduktion.

So sehr ist die europäische Skiindustrie in den japanischen Skiboom hineingezogen worden, daß heute die größten Hersteller in Österreich und Frankreich vom japanischen Markt ziemlich abhängig sind: eine Tatsache, die den Japanern natürlich nicht entgehen konnte.

Japanische Firmen kauften sich deshalb vor allem in Österreich ein. Bei Fischer, Head/Tyrolia und Hagan verfügen japanische Unternehmen heute über Beteiligungen von jeweils etwa einem Drittel des Stammkapitals. Die japanische Vertriebsfirma Skikraft, die mit Fischer zusammenarbeitet, verfügt sogar über einen ständigen Aufsichtsrat in Österreich. Das ist für Christian Herbst, den Japan-Beauftragten bei Fischer, ein Gewinn: „Die Japaner“, meint Herbst, „haben uns besonders bei den Investitionen im Maschinenpark sehr geholfen.“

Schon versteht es sich bei Fischer und anderswo von selbst, daß die meisten in Japan angebotenen Produkte speziell für den japanischen Kundengeschmack hergestellt werden. Etwas weicher und leichter sind die japanischen Bretter. Und sie tragen andere Namen: „Skilehrer“ nennen sich in Japan die Bestseller von Fischer. „Das Skilehrer-Image ist in Japan so populär“, sagt Herbst, „daß der 1995 in Japan stattfindende Interskikongress des Skilehrerverbands viel wichtiger für die Japaner ist als die alpinen Weltmeisterschaften.“

Der sehr zeitaufwendige Skisport ist in Japan vor allem eine Sache der Jugendlichen. Die aber haben das weiße Vergnügen zu einem Modeereignis gemacht. Nur die teuersten Klamotten waren Nippons Schnee-Kids in den letzten Jahren gut genug. Ihre Bereitschaft, hohe Preise zu zahlen, nutzten die ausländischen Wintersportartikelhersteller aus und baten gnadenlos zur Kasse. „Zu weit trieben die Firmen ihr gefährliches Spiel“, sagt der Skifachmann Aki Murasato in Shizukuishi. Inzwischen steht die japanische Skiindustrie vor dramatischen Einbrüchen.

Schon kostet ein simpler Head- Ski im Tokioter Vorort Kichijoji statt 36.000 Yen (460 Mark) nur noch 18.000 Yen (230 Mark), Atomic nimmt dort für sein Anfängermodell nur noch 23.000 Yen (295 Mark) statt zuvor ebenfalls 36.000 (460 Mark). Obwohl die Preise für europäische Verhältnisse weiterhin hoch bleiben, gibt es diese Saison auch in Japan erstmals deutliche Preissenkungen. Statt wie bisher jedes Jahr eine komplett neue Ausrüstung zu kaufen, scheinen sich auch die Japaner in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten aufs Sparen einzurichten.

„Die Freizeitgesellschaft ist in Japan erst im Kommen. Deshalb bleiben die langfristigen Aussichten der Skiindustrie gut“, meint Christian Kesberg, Vertreter der österreichischen Handelskammer in Tokio. Weil auch der internationale Skiverband FIS diese Auffassung teilte, muß Alberto Tomba nun im fernen Morioka Ski laufen. Doch keine Sorge: Die nordjapanische Stadt zählt mindestens ein Dutzend italienische Restaurants.

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