Selbstverständlicher Umgang – die Ausnahme

■ Die Probleme von Migranten der zweiten Generation sind grundsätzlich lösbar

Während der Phase der Familienzusammenführung zwischen 1974 und 1981 kam eine große Zahl ausländischer Kinder und Jugendlicher in die Bundesrepublik. Ihr Zuzug veränderte nachhaltig den Charakter der Migrationsbewegung sowie deren Folgen und Randerscheinungen. Ein neues Problemfeld der Migration stellte ihre schulische und berufliche Integration dar. Im Gegensatz zu den Migranten der ersten Generation, die bei der Einreise in die Bundesrepublik bereits einen Arbeitsplatz hatten, findet die berufliche Eingliederung der zweiten Generation unter anderen Bedingungen statt. Zwar hat die zunehmende Arbeitslosigkeit in Deutschland auch die Arbeitsplätze der frühen Migranten bedroht, jedoch leidet die zweite Generation erheblich stärker unter der schwierigen Arbeitsmarktlage. Allgemein liegt die Quote von nicht vermittelten Lehrstellensuchenden bei ausländischen Jugendlichen, besonders bei den Mädchen, höher als bei den gleichaltrigen Deutschen.

Als besonders problematische Gruppe gelten immer noch die türkischen Jugendlichen, unter ihnen vor allem die Mädchen. Von 1977 bis 1989 hat sich die Zahl der unter 16jährigen türkischen Kinder in der Bundesrepublik um nahezu 50 Prozent erhöht. Mittlerweile sind fast drei Viertel der hier lebenden türkischen Jugendlichen in der Bundesrepublik geboren.

Sozialarbeit und -pädagogik und seit neuerer Zeit auch türkische Selbstorganisationen und Elternvereine bemühen sich um eine Lösung derer Probleme. Eine verbesserte schulische Situation in Verbindung mit den steigenden Verbleibeabsichten fördern das Interesse der zweiten Generation an einer fundierten beruflichen Ausbildung. Immer mehr türkische Jugendliche verlassen die typischen „Gastarbeiterberufe“ und streben eine Berufstätigkeit im Dienstleistungssektor an.

Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den steigenden Zahlen türkischer Studenten an deutschen Hochschulen wider. Von den 11.674 türkischen Hochschulstudenten in Deutschland sind mittlerweile zwei Drittel sogenannte Bildungsinländer, das heißt Studenten, die bereits ihre Hochschulzugangsberechtigung an deutschen Schulen erworben haben. Diese Kinder der ersten Migrantengeneration werden in Zukunft den Aufstieg der türkischen Minderheit in Mittel- und Oberschicht befördern. Ihre Verbleibeabsichten lassen sich dabei an den Veränderungen in der Fächerwahl ablesen: studierte früher die Mehrzahl der türkischen Studenten solche Fächer wie Ingenieur- oder Naturwissenschaften, die vor allem in der Türkei gute Berufsaussichten boten, so verlagern sie sich heute auf Fächer wie Jura oder Lehramt, deren Zukunftschancen in der Bundesrepublik liegen.

Derartige Integrationsansätze, zeigen, daß die Eingliederungsprobleme der zweiten Generation lösbar sind. Zwei grundsätzliche Probleme sollten jedoch im Blickfeld stehen: zum einen ist das die soziale Integration der jungen Ausländerinnen und Ausländer. Selbst am Beispiel der Studenten, läßt sich zeigen, daß soziale und freundschaftliche Kontakte zu Deutschen der gleichen Altersgruppe und in vergleichbarer Lebenssituation nicht selbstverständlich sind. Nach einer Untersuchung des Zentrums für Türkeistudien an deutschen Hochschulen haben die wenigsten dieser Studenten mehr als marginale Kontakte zu deutschen Kommilitonen. Dies hat sicher mit dem zweiten Hauptproblem zu tun: die rechtliche Situation der zweiten Generation. Auch hier werden in Zukunft vor allem die jungen Türken weiterhin Nachteile in Kauf nehmen müssen: rechtliche Erleichterungen für Einwanderer aus EG-Staaten betreffen sie nicht. Dieser Ausschluß vom politischen Leben hat nicht nur konkrete Auswirkungen auf bestimmte Bereiche ihres Lebens wie Freizügigkeit, Berufswahl et cetera. Fast wichtiger ist noch, daß dadurch die Motivation vieler, aktiv am politischen Leben der Bundesrepublik teilzunehmen, behindert und beschränkt wird. Solange sie nicht als gleichberechtigte Bürger ihre Rechte und Chancen in dieser Gesellschaft wahrnehmen können, werden sie immer eine Randgruppe bleiben müssen. Faruk Sen

Professor am Zentrum für Türkeistudien