Karibische Longdrinks

Oder die Tücken der Erziehung zwischen den Welten  ■ Von C. Sarikaya/C. Treppte

Nennen wir ihn Mehmet aus Mittelanatolien, Vater eines 17jährigen Sohnes im Ruhrgebiet. In seiner Philosophie der Altersklassen sind drei Begriffe von Bedeutung: „Strukturen“, die ein Mensch sich im Laufe seines Lebens schafft. Der „Zeitgeist“, der ihn dabei beeinflußt. Das „Verständnis“, das er für die Nachgeborenen aufzubringen hat, wenn sie soweit sind, andere Zeichen zu setzen. Auch daheim und früher verlief das Zusammenspiel von Vater und Sohn keineswegs reibungslos. Zum Beispiel als Mitte der 50er, Anfang der 60er Jahre die Pferdewagen aufkamen und die Ochsenwagen ablösten. „Die näherrückende Stadt forderte höhere Ernten“, erinnert sich Mehmet. „Und die waren mit Großvaters Anbaurhythmen so wenig zu vereinbaren wie mit den langsamen Ochsenwagen, die mein Vater abschaffen wollte. Großvater fühlte sich bedroht, in Frage gestellt.“ Dennoch gab es keine wirklich krassen Konflikte zwischen Mehmets Vater und Großvater, die ja beide in derselben Umgebung aufgewachsen waren und wesentliche Normen teilten.

In Deutschland verläuft der Generationskonflikt dramatischer. Der Vater, der nach Deutschland ging und seine Familie, darunter den damals 13jährigen Mehmet, nachholte, brachte seine Denkstrukturen mit. Mehmet kam unfertig und neugierig. „Ich wollte hier alles so gut wie möglich lernen. Als ich 20 Mark für einen Deutschkurs brauchte, hat Vater gesagt: ,Ja, willst du denn Dolmetscher werden, mein Sohn?‘ Er hat die Situation nach seiner Welt gedeutet.“

Mit der Zeit war die Welt des Vaters zu eng; Mehmet ging eigene Wege, ohne es jedoch zu einem Bruch kommen zu lassen. „Den Familiensinn einer Agrargesellschaft habe ich ja auch mitbekommen. Für mich war es immer die Frage, inwieweit ich meine eigenen Interessen durchsetzen darf, wenn sie die der Familie stören.“

Erziehung versteht Mehmet, nun selbst Vater, als Fortführung des eigenen Entwurfs. „Sagen wir, ich bin ein Buch. Dann ist die Erziehung meines Sohnes die Übersetzung von mir in die Zeit. Wenn es Schwierigkeiten mit der Übersetzung gibt, wird das Buch nicht verstanden und es gibt Konflikte.“

Familiensinn, unbeugsamer Stolz, die Vorstellungen von Ehre, die Zugehörigkeit zur Gruppe... Sind das Ziele, die sich noch ohne weiteres übersetzen lassen, hier und heute? Traditionen, die Verbundenheit in der Überlieferung alter Bektasilieder hätte dem Sohn eine Identität vermitteln sollen, ohne Dogma zu sein. Aber die Saz, die der Vater darum in frühen Jahren für den Sohn herstellen ließ, ist lange vergessen. Ihre Klänge – abgelöst von Pop, Break und Reggae. „Wenigstens kommt Reggae nicht aus Amerika“, meint Mehmet, der einmal seine Identität unter dem Eindruck Che Guevaras gesucht hat. Daß der Sohn überhaupt so weit kommt, für sich eigene Entscheidungen zu setzen, und die Eltern dies zulassen, mag positives Ergebnis des Erziehungsstils sein. Aber dies tut dem Vater auch weh. „Mein Ziel in der Erziehung war: so frei wie möglich, damit er hier Fuß fassen kann. Und zugleich mit den Werten, die er braucht, um auch in der Türkei zurechtzukommen. Aber ich kann sagen, daß ich dieses Spiel weitgehend verloren habe.“ Ein Wohnzimmer, verschiedene Welten. Das Für und Wider teurer Halogenlampen, die Anschaffung gesundheitsbewußten Schuhwerks, das nicht zu Ausverkaufspreisen zu haben ist. Das eigene Dazulernen, wenn der Sohn die besseren Argumente hat. An Irritationen ist kein Mangel. Wenn meine Frau und ich abends gemütlich beisammen sitzen und Tee trinken, Sonnenblumenkerne knabbern, dann holt er sich Orangensaft und Chips. Im weitesten Sinne ist das ja schon ein Konflikt. Es geht nicht um den Tee als Flüssigkeit, vielmehr wird eine Norm abgelehnt, ein Ritual verweigert.

Über Dramen braucht sich niemand zu verwundern, meint Mehmet, wenn Eltern mit Spielregeln alleingelassen werden, die sie nicht durchschauen. „Stellt euch vor, ein Mehmet, der selbst nicht an der Gesellschaft teilhaben kann, die ihm die Kinder ja normativ wegnimmt. So jemand kann auch seine Kinder nicht für diese Gesellschaft zurechtbiegen. So ein Vater kann nicht verstehen, wenn der Sohn mit dem Walkman auf dem Kopf durchs Wohnzimmer tänzelt. Für ihn ist ja Tanz immer ein Ritual gewesen. Nicht einfach so...“ Wirkliche Konflikte wachsen mit dem Gefühl von Bedrohung und der Absage an Verständnis. Zu letzterem gehört Bereitschaft auf beiden Seiten. Anders als sein Vater, der einst an Wochenenden vorzugsweise allein seiner Wege ging, besucht Mehmet mit seiner Frau das Restaurant, um Raki zu trinken. Mein Sohn findet das langweilig. Er will lieber in eine Disko und Reggae hören. Neuerdings kommt er manchmal und bringt uns karibische Longdrinks. ,Trinkt doch mal so was.‘ Er erzieht uns ja auch um.“

Der Sohn kommt hier klar und auch mit den Eltern. Den eigentlich geplanten Einbürgerungsantrag aber hat er unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse erst einmal ohne große Worte verweigert. Womit sich für die Betroffenen erneut die Frage stellt, woraufhin sie eigentlich zu erziehen haben oder gehabt hätten.