■ Der UN-Sicherheitsrat befaßt sich mit dem Balkankrieg
: Nichts mehr zu gewinnen

Offenbar hat sich die neue US-Regierung noch nicht zu einer balkanpolitischen Linie durchgerungen. Doch schon im Vorgeplänkel um die Verhandlungen im UN-Sicherheitsrat werden die Parameter der Debatte festgeklopft. Da versucht der EG-Vermittler Lord Owen den US-Außenminister vom Genfer Friedensplan mit dem Argument zu überzeugen, eine Ablehnung desselben würde den Krieg verschärfen, weil die Serben sich ja schon „ganz nahe“ bei einer Annahme des Genfer Vorschlags befänden, während die Muslime gerade auf eine Zurückweisung desselben durch die USA setzten – in der Hoffnung, dann an Waffen heranzukommen. Owens Position ist durchaus konsistent, wenn man den Frieden um jeden Preis will, um den Preis von Massenvertreibungen, um den Preis einer Diaspora von zwei Millionen Muslimen und möglicherweise um den Preis von Kriegen anderswo, im serbischen Sandschak, in Mazedonien, im Kosovo und weiter im Osten. Doch die jüngsten Ereignisse in der kroatischen Krajina könnten den Herren in New York eine Warnung vor solch kurzsichtiger Strategie sein. Dort sind in serbisch besetzten Gebieten zwar UN-Truppen stationiert. Doch haben die Blauhelme weder die Tschetniks entwaffnet noch eine zivile Verwaltungsstruktur aufgebaut, noch auch nur im Ansatz die Hunderttausende von Flüchtlingen zurückgeführt. Keines der Probleme, die dem Krieg zugrunde lagen, wurde angegangen, und so haben kroatische Truppen zur Befreiung kroatischen Staatsgebietes angesetzt. Noch besteht die Gefahr, daß sich die Kriegshandlungen zu einem umfassenden kroatisch-serbischen Waffengang ausweiten.

Auf ihrer Londoner Konferenz – es ist erst ein halbes Jahr her – hatten UNO und EG feierlich verkündet, daß militärisch geschaffene Tatsachen nicht akzeptiert würden. Nun hat der bosnische Präsident Alija Izetbegović in Sarajevo erläutert, weshalb er den Genfer Plan ablehnt. Aus moralischen Gründen: weil er Verbrechen belohnt. Aus juristischen Gründen: weil er den Resolutionen der UNO widerspricht. Aus menschlichen Gründen: weil er das Problem der Flüchtlinge nicht angeht. Dem ist nichts hinzuzufügen. Daß Izetbegović schon gar nicht mehr nach New York reiste, ist nur allzu verständlich. Immerhin ist der Präsident einer von der UNO anerkannten souveränen Republik auf dem internationalen Parkett der Genfer Verhandlungen längst zum Volksgruppenführer der Muslime degradiert worden. Der Serbenführer Radovan Karadžić hingegen, noch vor kurzem von der US-Regierung, die ihm nun die Einreise erlaubt hat, als Kriegsverbrecher apostrophiert, wird inzwischen faktisch als Ko-Präsident Bosnien-Herzegowinas gehandelt. Im äußersten Fall wird sich der UN-Sicherheitsrat zur verschärften Überwachung eines brüchigen Embargos gegen Serbien und zur Durchsetzung eines inzwischen ziemlich bedeutungslosen Flugverbots über Bosnien-Herzegowina durchringen. Izetbegović hat also in New York nichts mehr zu gewinnen, zu Hause aber alles zu verlieren – nachdem sich abzeichnet, daß die UNO bereit ist, den Dreivölkerstaat auf dem Altar eines künftigen fragilen Friedens zu opfern. Thomas Schmid