■ Schmalz-Jacobsens Staatsangehörigkeits-Entwurf
: Republikanischer Geist

Mitten in der Zeit juristischer Verdunklungsmaßnahmen und raffinierter Formelkompromisse, mit denen Regierung wie SPD-Opposition sich das „Ausländerproblem“ vom Hals schaffen wollen, endlich ein Gesetzentwurf, aus dem der republikanische Geist der Einfachheit, der Unzweideutigkeit und des demokratischen Engagements spricht! Cornelia Schmalz- Jacobsens Projekt zur Änderung bzw. Ergänzung des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 schlägt eine massive Bresche in den Verteidigungswall des Deutschtums kraft Abstammung. Der Entwurf verankert das „ius soli“, indem er in Deutschland geborene Kinder von Ausländern, die auf Dauer hier leben, automatisch zu deutschen Staatsbürgern macht. Er verleiht Ausländern, die acht Jahre bei uns gelebt haben, einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung, ebenso im Ausland geborenen Kindern und den ausländischen Ehegatten deutscher Staatsbürger. Drittens und Wichtigstens: Er kehrt die bisherige juristische Regel, nach der Doppelstaatsangehörigkeit die Ausnahme sein sollte, um: In allen Fällen, in denen ein Anspruch auf Einbürgerung besteht, ist doppelte Staatsbürgerschaft von den Behörden zu akzeptieren. Würde der Entwurf Gesetz, so wäre der Weg geebnet für die Einbürgerung der großen Mehrheit der ausländischen ArbeiterInnen in Deutschland und ihrer Nachkommen.

Weil das so ist, empfiehlt es sich, die weitergehenden Initiativen, die auf eine Abschaffung des Art. 116 Grundgesetz zielen, nicht gegen den Entwurf der Ausländerbeauftragten auszuspielen. Schmalz-Jakobsen hat eine pragmatische Vorgehensweise gewählt und die sehr schwierige (und dennoch notwendige) Aufgabe, den Begriff der „deutschen Volkszugehörigkeit“ aus dem Grundgesetz zu streichen, ausgeklammert. Da die Stoßrichtung des von alternativ- demokratischen Kräften initiierten (inoffiziellen) Referendums ebenfalls auf die doppelte Staatsangehörigkeit zielt, konvergieren beide Initiativen. Auf alle Fälle würde ein geändertes Staatsbürgerrecht günstige Voraussetzungen für eine Regelung schaffen, die der uferlosen und gleichzeitig anmaßenden Ausdehnung des „Deutschtums“ ein Ende setzte.

Wie stehen die Chancen für das Projekt der Ausländerbeauftragten? Rein rechnerisch könnte der Entwurf eine Mehrheit finden – aber nicht nur der Koalitionsvertrag steht einem solchen Ergebnis entgegen. Die SPD hat es trotz flehentlicher Aufforderungen versäumt, anläßlich der Verhandlungen zum Asylkompromiß ausgearbeitete Entwürfe zum Staatsbürgerrecht einzubringen und damit die Regierung unter Druck zu setzen. Was vor wenigen Tagen Herta Däubler-Gmelin in Sachen Staatsbürgerschaft vorgelegt hat, fällt in wichtigen Punkten hinter den Entwurf zurück. Der gegenwärtigen sozialdemokratischen Führung ist zwar jede Menge wendiger Pragmatismus zuzutrauen, aber sehr wenig Standfestigkeit. So wird der Entwurf aus dem Hause Schmalz-Jacobsen keine unmittelbar politischen, wohl aber gesellschaftliche Wirkungen zeitigen. Er wird zum Bestandteil jener demokratischen Gegenoffensive werden, die, oft genug ohne und gegen die großen Parteien, Ende des letzten Jahres begonnen hat. Christian Semler