USA: Tendenz zum Billiglohn

Clinton will den Staatshaushalt sanieren und öffentliche Investitionen steigern/ Nur weiß niemand, wie beides zugleich möglich ist  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Wie ein Laserstrahl wolle er sich auf die Wirtschaftsprobleme des Landes konzentrieren, hatte Bill Clinton nach seinem Wahlsieg verkündet. Doch nach knapp zwei Wochen im Amt hat die neue Administration immer noch massive Probleme, Energie und Ideen zu bündeln, um das „zweifache Defizit“ zu bekämpfen. Mit diesem Schlagwort meint US-Präsident Bill Clinton nicht nur das wachsende Loch im jährlichen Finanzhaushalt, sondern auch das „Defizit“ an öffentlichen Investitionen. Das Problem ist nur, daß man zur Bekämpfung des einen Geld einsparen, zur Bekämfpung des anderen Geld ausgeben muß. Wie sich die neue Administration den Ausweg aus diesem Dilemma vorstellt, will Clinton am 17. Februar in seiner ersten Ansprache an die Nation erklären, in der er sein mit Spannung erwartetes Wirtschaftsprogramm vorstellen will.

Nun sieht die wirtschaftliche Lage der USA auf den ersten Blick so verzweifelt nicht aus: am Dienstag verkündete das Handelsministerium einen Anstieg des „leading index“ um 1,9 Prozent. Der Index, errechnet aus elf Wirtschaftsindikatoren, dient als Prognose für die ökonomische Entwicklung der nächsten Monate.

Nur auf dem Arbeitsmarkt ist von Erholung nichts zu spüren. Statt dessen reihte sich in den letzten Tagen eine Hiobsbotschaft an die andere. Ende Januar beschloß der Waren-und Versandhauskonzern Sears, 113 seiner 589 Fillialen im Land zu schließen und 50.000 Arbeitsplätze abzubauen. Sears hatte bereits in den letzten drei Jahren 50.000 Stellen gestrichen. Fast zeitgleich gaben IBM, Boeing und United Technologies bekannt, noch in diesem Jahr Massenentlassungen und Stellenabbau durchzuführen. Allein diese vier Konzerne werden 1993 über 100.000 Arbeitsplätze streichen.

Für manche Kommentatoren ist dies weniger ein Krisen- als ein „positives Lebenszeichen“, das anzeige, daß der Ausleseprozeß der freien Marktwirtschaft funktioniere. In der Clinton-Administration sprechen jedoch manche von der „jobless recovery“ – die Arbeitlosenrate lag im Dezember weiterhin hoch und dürfte der bevorstehenden Entlassungen wegen kaum sinken. Daran werden auch neue Arbeitsplätze in kleineren und mittleren Unternehmen nichts ändern.

Erschwerend kommt hinzu, daß bei IBM, Boeing, Sears und United Technologies vor allem relativ gut bezahlte Arbeitsplätze mit Krankenversicherung und Pensionsansprüchen verlorengehen. Dies verstärkt jene Entwicklung, vor der Arbeitsminister Robert Reich immer wieder eindringlich gewarnt hat: die Tendenz zum Billiglohnland. Wer 1991 im Dienstleistungssektor einen Job hatte, konnte mit einem Durchschnittswochenlohn von nur 332 Dollar rechnen. Im Produktionssektor lag der Durchschnittswochenlohn nach Angaben des Arbeitsministeriums immerhin bei 455 Dollar. Doch der Anteil von Arbeitsplätzen im Produktionssektor ist in den letzten zwölf Jahren von 23 auf 17 Prozent gesunken, der Anteil im Dienstleistungssektor dagegen von 19 auf 27 Prozent gestiegen.

Ein zusätzliches Wirtschaftspaket zur Ankurbelung soll Abhilfe verschaffen. Noch in Wahlkampfzeiten hatten manche Clinton-Berater dafür bis zu 60 Milliarden Dollar für dieses Jahr veranschlagt. Ein Drittel soll für Arbeitsplätze zum Ausbau und vor allem zur Ausbesserung der Infrastruktur, zum Beispiel des Straßennetzes, ein Drittel in die Umschulung und Weiterbildung von Arbeitskräften investiert werden. Mit dem letzten Drittel will der Staat Steuererleichterungen für Unternehmen finanzieren, die in neue Produktionsanlagen investieren wollen. Dieser Tage deutete Robert Reich an, daß das Haushaltsdefizit und der von Budgetdirektor Leon Panetta verordnete Sparzwang wohl allenfalls ein Paket im Umfang von 15 bis 20 Milliarden Dollar erlauben würden.

Angesichts dieser Summe zeigte letzte Woche auch Alan Greenspan, Vorsitzender der Federal Reserve, bei einer Senatsanhörung zum Thema Wirtschaftpaket mit dem Daumen nach oben. Am Mittwoch erklärte Clinton gegenüber den Gouverneuren der Bundesstaaten und Kongreßvertretern, daß ihm ein Paket im Umfang von 31 Milliarden Dollar für ein kurzfristiges Anschubprogramm vorschwebt.

Clinton selbst hat sich bislang weder dazu geäußert, wie das Investitionsprogramm finanziert, noch die avisierte Reduzierung des Defizits um 145 Milliarden bis 1997 erreicht werden soll. Ohne einschneidende Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen, so hatte das „Congressional Budget Office“ noch einmal gewarnt, werde das Budgetdefizit 1997 319 Milliarden Dollar betragen und sich innerhalb der nächsten zehn Jahre verdoppeln.

Während sich der Präsident mit konkreten Vorschlägen noch zurückhält, haben mehrere Regierungsmitglieder in den letzten Tagen durch Andeutungen und Ankündigungen auszutesten versucht, wie die Öffentlichkeit, der US-Kongreß und nicht zuletzt die Finanzmärkte auf Vorschläge zu Haushaltskürzungen und Steuererhöhungen reagieren. Ende Januar erklärte Finanzminister Lloyd Bentsen, die Administration erwäge eine allumfassende Energiesteuer. Andere Geldquellen sind bereits im Wahlkampf benannt worden: Umstrukturierungen und Einsparungen beim Militär, wogegen die Armeeführung, wie nicht anders zu erwarten, ihren entschiedenen Widerstand angekündigt hat; Steuererhöhungen für Familien mit einem Jahreseinkommen von über 200.000 Dollar sowie die Besteuerung ausländischer Unternehmen in den USA.

Letztes Wochenende ließ das Weiße Haus den bislang umstrittensten Versuchsballon steigen und verlauten, man erwäge, sogar bei der Sozialversicherung den Rotstift anzusetzen. „Social Security“, wie diese Form der Rentenzahlung genannt wird, galt bislang als heilige Kuh in der amerikanischen Haushaltspolitik. In diesem Zusammenhang das Wort Kürzung auch nur in den Mund zu nehmen kam politischem Selbstmord gleich. Entsprechend groß war die Empörung in der Öffentlichkeit, im Kongreß und unter den einflußreichen Lobbygruppen der Rentner und Pensionäre. Zwei Optionen werden in der Clinton-Administration diskutiert: Man will entweder den jährlichen Inflationsausgleich der Renten streichen oder die Einkommensgrenze senken, ab der Pensionäre einen Teil ihrer „Social Security“-Schecks versteuern müssen. Ersteres würde vor allem arme Alte treffen, und nach Angaben des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses im Senat, Jim Sasser, das ohnehin schon knappe Monatseinkommen von rund 500.000 Senioren unter die Armutsgrenze sinken lassen. Letzteres ginge auf Kosten jener Ruheständler, die durch zusätzliche private Altersversicherungen finanziell besser abgesichert sind.

Was immer Bill Clinton am 17. Februar verkündet, Demonstrationen, Sit-Ins und die Blockade der Telefonleitung im Weißen Haus durch ältere Mitbürger dürften ihm sicher sein.