: Zinssenkung für die EG-Nachbarländer
Die Bundesbank senkt unerwartet die Leitzinsen – aber nur ein wenig: den Diskontsatz von 8,25 auf acht Prozent, den Lombardsatz von 9,5 auf neun Prozent/ Gegen EWS-Spannungen ■ Von Donata Riedel
Berlin/Frankfurt a. Main (taz/ dpa/AP) – Noch am Morgen hatte niemand damit gerechnet, daß die Bundesbanker geldpolitische Beschlüsse fassen würden. Doch während der Zentralbankrat, das oberste Entscheidungsgremium der deutschen Notenbank, in Frankfurt turnusgemäß tagte, drohte das Europäische Währungssystem (EWS), die Vorstufe zur einheitlichen Eurowährung, aus den Fugen zu geraten – zum zweiten Mal seit den Turbulenzen im September.
Damals hatten die Finanzminister und Notenbankchefs der EG- Staaten das System der festen Wechselkurse nur mühsam vor dem endgültigen Zusammenbruch bewahren können. Die schwächsten Währungen, die italienische Lira und das britische Pfund, mußten das EWS verlassen, die übrigen schwächeren EG-Währungen wurden abgewertet – letztlich nur, um die durch die Hochzinspolitik der Bundesbank verteuerte D-Mark, die Ankerwährung des Systems, nicht aufwerten zu müssen.
Erneut zum europaweiten Sündenbock mochte die Bundesbank gestern offenbar nicht werden: Sie senkte, nach sechsstündigen heftigen Diskussionen des Zentralbankrats hinter verschlossenen Türen, die Leitzinsen, zu denen die Geschäftsbanken Geld von der Notenbank bekommen. Der (mengenmäßig begrenzte) Diskontsatz wurde von 8,25 auf acht Prozent gesenkt, der Lombardsatz, zu dem sich die Banken darüber hinaus mit Geld versorgen können, von 9,5 auf 9 Prozentpunkte. Außerdem bescherte der Zentralbankrat den Geschäftsbanken ein Bonbon, indem er die Mindestreservesätze für Termin- und Spareinlagen auf zwei Prozent ab 1. März senkte. Die Banken sind verpflichtet, immer einen gewissen Prozentsatz des Geldes, das sie als Kredite vergeben, als Mindestreserve zu halten. Die Senkung dieses Satzes entlastet nun die Banken um 32 Milliarden Mark, mit denen sie zusätzliche Geschäfte tätigen können.
Um das System der festen Wechselkurse im EWS zu halten, hatten zuvor im Laufe des Vormittags die Notenbanken auf den Devisenmärkten massiv mit Stützungskäufen eingegriffen – diesmal zugunsten der Dänen-Krone, die gegenüber der D-Mark in kritische Nähe zu ihrem unteren Interventionspunkt (25,6300 DM für 100 Kronen) geraten war. Die dänische Notenbank erhöhte zusätzlich ihre Leitzinsen von 11,5 auf 13 Prozent, um die Anleger von der Flucht aus der Krone abzuhalten. Am Mittwoch bereits waren alle EWS-Währungen außer dem belgischen Franc gegenüber der D-Mark unter Druck geraten.
Ursprünglich hatte die Bundesbank aus innerdeutschen Gründen dem Druck zu niedrigeren Zinsen nicht nachgeben wollen. Seit mehreren Wochen schon wäre die Bundesregierung den Schwarzen Peter in der Wirtschaftspolitik gerne losgeworden. In dieser Woche machte sie richtig Druck auf die unabhängige Bundesbank, indem sie des Kanzlers Vielzweckwaffe für heikle finanz- und währungspolitische Missionen, Horst Köhler (CDU), vorschickte. Der Finanzstaatssekretär forderte in einem Spiegel-Interview implizit die Bundesbank auf, die Zinsen zu senken: Niedrigere Zinsen würden die Wirtschaft entlasten, weil dadurch Kredite für Investitionen aller Art billiger würden. In der Folge würden die Mieten sinken (weil sie den Wohnungsbau förderten), und außerdem gebe es neue Arbeitsplätze durch Konjunkturbelebung.
Diese Argumente hätten die Bundesbanker, die per Gesetz dazu verpflichtet sind, den Wert der D-Mark stabil zu halten und Inflation zu verhindern, wohl nicht überzeugt. Schließlich glaubt kaum ein Wirtschaftsexperte ernsthaft daran, daß die Unternehmen in konjunkturschwacher Zeit sofort in neue Arbeitsplätze investieren, nur wenn die Zinsen ein wenig gesenkt werden.
Auch die Sparpläne der Bundesregierung, zu deren Vorstellung Köhlers Chef, Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU), vergangene Woche extra nach Frankfurt gereist war, dürften die Bundesbanker nicht für das „mittelfristig angelegte Konsolidierungskonzept“ gehalten haben, das sie bislang stets als Bedingung für Zinssenkungen (neben einer „maßvollen Lohnrunde“ der Tarifparteien) genannt hatten.
Aus der Sicht der Währungshüter besteht in Deutschland nämlich seit der Wiedervereinigung die Gefahr einer Inflation. Inflation entsteht immer dann, wenn es in einer Volkswirtschaft mehr Geld gibt, als die produzierten Waren und Dienstleistungen wert sind. Und weil die Geldmenge M3 (die aus Bargeld, Sicht-, Termin- und Spareinlagen besteht) noch immer sehr viel schneller wächst, als die Bundesbank angesichts einer schrumpfenden Wirtschaft für wünschenswert hält, versucht sie, das Geld über hohe Zinsen zu verteuern und damit die Nachfrage nach Krediten abzuwürgen.
Das hätte in den vergangenen Monaten durchaus funktionieren können, wenn nicht der Staat, koste ein Kredit, was er wolle, die Einheit massiv über immer neue Schulden finanziert hätte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen