Die Deutschen sterben doch nicht aus

■ Ausländerbeauftragte Schmalz-Jacobsen will Ausländern doppelte Staatsangehörigkeit geben

Bonn (taz) – Jedes Kind, das in diesem Lande geboren ist, kann künftig die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Einen deutschen Paß soll auch bekommen können, wer zum Beispiel seinen türkischen nicht abgeben will oder kann. Gesetz ist dies noch längst nicht, aber es steht in einem Gesetzentwurf, den die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP), gestern vorstellte. Damit würde das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913, das die Abstammung zum entscheidenden Kriterium macht, endlich entrümpelt. Klar ist jedoch auch, daß die überfällige Initiative auf eine parlamentarische Mehrheit kaum rechnen kann. Die Union hat ihr Nein zur Modernisierung des Staatsbürgerrechts gerade am Mittwoch wiederholt, als sie eine Initiative der SPD-Fraktion ablehnte. Selbst Kinder, deren Eltern bereits in Deutschland geboren wurden und immer hier gelebt haben, müssen heute zum Erwerb der Staatsbürgerschaft hohe Hürden nehmen. Allein 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, jedes zehnte Schulkind in den Grundschulen, ist ohne deutschen Paß. Während für die meisten europäischen Nachbarländer das ius soli längst Standard ist, also der Grundsatz, daß Staatsbürger ist, wer im Lande geboren wurde, begründen in der Bundesrepublik allein die Blutsbande die Staatsbürgerschaft. Nach dem Gesetzentwurf würde als deutsch künftig jedes hier geborene Kind gelten, wenn seine Eltern ständig hier leben. Der Gesetzentwurf von Schmalz-Jacobsen ist in dieser Frage sogar eindeutiger als die SPD-Initiative, die Herta Däubler-Gmelin Anfang dieser Woche vorgelegt hat. Mit der Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft würde das größte Hindernis gegen Einbürgerungen beseitigt. Nach einer Untersuchung in Berlin, so berichtete Schmalz-Jacobsen gestern, würden sich deutlich mehr junge Leute einbürgern lassen, wenn es die doppelte Staatsbürgerschaft gäbe.

Der Gesetzentwurf enthält weitere Bestimmungen, die die Schwelle zur Einbürgerung senken und die Rechtsansprüche auf Einbürgerung deutlich erweitern. So sollen dauerhaft hier lebende Ausländer nach acht Jahren und Asylberechtigte nach fünf Jahren einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung haben. Beseitigt werden soll auch ein anderer antiquierter Unterschied: auch nichteheliche Kinder eines deutschen Vaters würden künftig als Deutsche gelten. Für die Kinder einer deutschen Mutter galt das schon immer. Bei FDP und SPD kann der Entwurf auf Sympathien rechnen, Herta Däubler- Gmelin begrüßte ihn „als Schritt in die richtige Richtung“. Bündnis 90/ Die Grünen, die entsprechende Vorschläge längst vorgelegt haben, wollen den Vorstoß ebenfalls unterstützen.

Die Ausländerbeauftragte wird ihren Vorschlag den Fraktionen zuleiten. Was dann aus ihm wird, bleibt offen. In den Asylverhandlungen von FDP, SPD und Unionsfraktion war die Reform des Staatsbürgerrechts schon einmal an der Union gescheitert. Vor allem die CSU beharrt auf den überkommenen Rechtsgrundlagen. Und gegen die Union wird sich die koalitionsfromme FDP kaum mit der SPD verbünden. Tissy Bruns

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