Vorschlag

■ Duett für eine Stimme

Die riesige Bühne mit ihren Erhebungen und Tiefen ist mit weißem Stoff bedeckt. Sie ist Nordpol und Südpol, ist ein umgelegter Segelschiffmast, gestrandet natürlich. Das Stück selbst – „Annas Wake“ – beginnt dagegen mit der Summe aller Tag- und Nachtgeräusche, die unterbrochen von durcheinander sprechenden Frauenstimmen ein zu großes Maß an Zivilisation bieten. Die Bühne wird mit Hörbarem attackiert. Dann werden Bruchstücke weißen Films auf eine Leinwand projiziert. Man sieht, wie eine weißgekleidete Frau sich auf einer Schaukel durch das Bild schwingt. Die Sängerin und Schauspielerin, die am rechten Bühnenrand sitzt, steht auf, geht in die Mitte. Die weißgekleidete Anna im ersten Film trifft auf eine grüngekleidete Anna im Minirock auf der zweiten Leinwand. Dazwischen steht Anna Clementi, die Sängerin, und schreit gegen die Tag- und Nachtgeräusche der Stadt und den Stimmen, darunter ihrer eigenen, an, bis sich ihre Ausbrüche mit den Tonbandaufnahmen spiegeln. Die Sängerin singt im Duett mit dem Tonband, kommuniziert mit ihrer eigenen Interpretation. Eine deutlichere Metapher für den Autismus unserer Zivilisation wird es in der Komposition-Film- Gesang-Collage des Künstlerinnentrios Iris ter Schiphorst, Christine Daum und Anna Clementi nicht geben.

Das Stück „Annas Wake“ schwimmt textgetreu im Fahrwasser des Freudschen verlorenen Ich. „Wake“ – Schiffspur, „Wake“ – Totenwache. Und Anna, das sind im 20. Jahrhundert viele. Angefangen beim Mutterbeispiel der Psychoanalyse Anna O. bis zur vornamensgleichen Sängerin.

Im Stück wird ausschließlich mit Andeutungen und Symbolen, die schwer belastet ihre eigene Geschichte haben, gearbeitet. Mit über den Boden rollenden Orangen, umfallenden Weingläsern, zerbrochenen Spiegeln, mit Scherben, fließendem Wasser, Perlen im Glas und dem vielbenutzten Satz „Tell me more“ werden die hinkende Anna, die hysterische, die verführerische und die verführte Anna, die androgyne und die mißbrauchte Anna angedeutet. Da die Frau sowohl im Film als auch auf der Bühne immer die gleiche ist, verschmilzt die nicht ausgesprochene Geschichte der Anna O. mit der von Anna Clementi. Durch die ästhetisierte Suche nach dem Ich der Sängerin und durch den Rückgriff auf visuelle Klischees entsteht ein Unbehagen, das von dem kraftvollen Gesang und der sich gleichzeitig brechenden und zusammenführenden Komposition Iris ter Schiphorsts ablenkt. Jede der drei Arbeiten, der Film von Christine Daum, die zusammengemischten Geräusche und der Gesang, besticht als einzelne; als visuelle Verdreifachung und hörbare Verdopplung – eingebaut in das ausufernde Bühnenbild – sind sie einfach zuviel. Waltraud Schwab

Noch bis 7.2. und vom 12. bis 14.2. im Ballhaus Naunynstraße