„Die Bayern sind kein Vorbild“

Borussia Dortmund auf dem Weg zum Publikumsverein der Spitzenklasse/ Gespräch mit dem Präsidenten Gerd Niebaum  ■ Von Christoph Biermann

taz: Nach dem Transfer von Matthias Sammer wird Borussia Dortmund zum großen Bayern- Herausforderer aufgebaut. Obwohl doch Borussia und Bayern „fußball-ideologisch“ gegensätzliche Pole besetzen. Hier der Verein mit Bodenhaftung, dort der internationale Großklub. Geben Sie Ihre Position jetzt auf?

Gerd Niebaum: Nein. Die Bayern sind für uns kein Vorbild. Wir haben ein anderes Ziel. Wir wollen Borussia Dortmund wieder dahin führen, wo wir in den fünfziger und sechziger Jahren waren. Das war eine Ausnahmemannschaft und ein Publikumsverein mit tiefer Verwurzelung in der Bevölkerung. Heute sagt man: „Fußball mit Herz.“ Aber das war es wirklich. Und deshalb ist der Verein auch heute noch in der Bevölkerung so beliebt.

Aber ist ein solcher Klub unter heutigen Bedingungen überhaupt noch möglich?

Der Sinn der Sache ist es, inhaltlich etwas herüberzutransportieren. Entscheidend ist letztlich, daß die Spieler da mitspielen und eine echte Hinwendung zum Publikum haben. Damals wurden die Spieler hier geboren, wuchsen hier auf, spielten hier Fußball und gingen danach hier ihrer Arbeit nach. Die waren ein Teil der Bevölkerung. Aber wir versuchen auch heute, einen Matthias Sammer oder Stephane Chapuisat so einzubinden, daß sie hier Wurzeln schlagen.

Und wie macht man das?

Durch die Kontinuität in den Spielerverträgen. Borussia Dortmund hat in den letzten sieben Jahren von allen Bundesligamannschaften die mit Abstand längste Verweildauer bei den Spielern. Das ist ganz wichtig, damit sich ein Publikum mit einer Mannschaft identifiziert. Wenn Sie alle zwei Jahre ein Bäumchen-wechsel- dich-Spiel machen, dann verliert eine Mannschaft an Gesicht und Sie finden mehr Distanz und mehr Entfremdung. Es kommen viele Leute, um ihre Spieler und gar nicht so sehr die Mannschaft zu sehen. Da muß man auch mal gemeinsam durch Krisenzeiten gehen, wie seinerzeit etwa bei Frank Mill.

Aber ist das Publikum nicht nur noch farbenfrohe Kulisse für Fernsehübertragungen?

Auf keinen Fall. Wenn die Leute jetzt von den acht Millionen für Sammer hören, denken sie vielleicht: Ob die noch meine zwölf Mark Eintritt haben oder nicht, ist doch egal. Das darf nicht passieren, weil wir damit die Identität als Volks- oder Publikumsverein verlieren würden. Und das wäre schlimm.

Aber gerade im Westfalenstadion ist doch mit dem Umbau der Nordtribüne von einer Steh- in eine Sitzplatztribüne der Sündenfall passiert. Die Atmosphäre ist schlechter geworden. Wie paßt das mit dem Volksverein zusammen?

Der Sündenfall ist ja woanders passiert. Und zwar bei der UEFA, die diese Stehplatzreduzierung forciert hat. Dieser Beschluß muß weg. Die vergleichen Äpfel mit Birnen. Weil es das schreckliche Unglück im Heysel-Stadion oder Hillsborough gegeben hat, wollen sie sich reinwaschen, indem sie sagen: Jetzt soll überall gesessen werden. Damit schießen sie weit über das Ziel hinaus. Man kann das Westfalenstadion nicht mit einem baufälligen Stadion in Irgendwo vergleichen.

Als der Borussia-Troß aus Zaragoza zurückreiste, haben Sie sich ans Mikrofon gestellt und gesagt, daß man jetzt nicht so sehr ans große Geld denken sollte, das im Europacup weiter zu verdienen wäre, sondern diesen größten Moment in der Vereinsgeschichte seit mehr als 25 Jahren würdigen sollte. Ist das nicht zu sentimental?

Ich gebe gern zu, daß ich etwas sentimental bin. Ich lege auch Wert darauf, daß bei solchen Anlässen, unseren großen Spielen, immer Spieler, Verantwortliche dabei sind, die Vereinsgeschichte gemacht haben. Das ist doch wunderbar, daß viele dieser Leute noch da sind. Das ist unser wichtigstes Kapital. Die Leute haben bei mir einen hohen Stellenwert.

Weil Sie die selbst noch haben spielen sehen?

Ja klar. Da war ich ein kleiner Junge, als die Deutscher Meister wurden. Daß ich das miterlebt habe, ist auch eine wesentliche Triebfeder für mein Engagement.

Ist das ein Teil Ihres Konzeptes vom Publikumsverein alter Prägung?

Natürlich. Borussia Dortmund ist ja nicht der Klub des Jahres 1993. In den Köpfen der anderen Zuschauer und Fans gibt es doch auch dieses Paket, wie ich es mit mir herumtrage. Wie sie 1963 gegen Benfica Lissabon im Stadion waren und gefroren haben... Es gibt da eine Geschichte, die mich sehr bewegt hat. Beim Bankett nach dem Pokalsieg 1989 bat mich Herbert Sandmann, einer unserer großen alten Spieler, ihm Michael Zorc vorzustellen. Mit dem fühlte er sich schon länger wesensverwandt und sagt immer: das ist mein Nachfolger. Wir sind also zu Michael Zorc herübergegangen und Herbert Sandmann hat ihm seinen Meisterring übergeben, den er für einen Meistertitel in den fünfziger Jahren bekommen hatte. Das sind eigentlich so Dinge, wo ich eher die Höhepunkte sehe, als wenn...

...der Bundespräsident neben Ihnen sitzt?

Ja, das ist natürlich auch interessant. Aber solche Begegnungen wie die gerade geschilderte oder mit einzelnen Zuschauern, die sich richtig über unsere Arbeit freuen, das sind für mich die Points. Die Big Points.