piwik no script img

Stiefkind in Brüssel

■ Die EG tut sich schwer mit der Naturheilkunde. Ein aktuelles Buch nennt Hintergründe und Fakten

In Fachkreisen der Naturheilkunde geht ein Gespenst um. Europäische Einheitsmedizin wird das Ungeheuer hinter vorgehaltener Hand genannt. Doch die Furcht vor dem Herbeireden könnten sich Heilpraktiker, Geistheiler und Co sparen: der medizinische Einheitsbrei kocht bereits auf dem EG-Herd. Wie eine solch hochprozentige Mixtur zustande kommt und wie sie wirkt, wenn Europa endgültig zusammengeschweißt ist, haben die drei Experten der Naturheilkunde, der Journalist Peter Wendling sowie die Mediziner Klaus-Peter Schlebusch und Hans-Christoph Scheiner, untersucht. Herausgekommen ist dabei ein engagiertes Buch mit dem Titel „Stiefkind in Brüssel: die Biologische Medizin“. In bewährter Zusammenarbeit haben die Autoren sich über die Zusammenhänge der Vernichtung biologischer Medizin in Deutschland hinaus auf europäisches Territorium begeben.

Und das nicht ohne Grund. Warum in den letzten Jahren immer mehr bewährte Arzneimittel der Naturheilkunde verboten werden und vom Markt verschwinden, ist verständlicher, wenn man sich auch zur Abwechslung europäisches Politikgebaren vor Augen führt. Europaweit, so zeigen die Autoren auf, hat die Schulmedizin mit ihrem milliardenschweren Rattenschwanz im Sinne der Pharmaindustrie absoluten Vorrang. Und das geht selbstredend zu Lasten der Naturheilkunde auch in den einzelnen Ländern. Schlebusch, Scheiner und Wendling zeichnen in ihrem Buch nicht nur den Vernichtungsfeldzug in Deutschland nach, sondern geben auch konkrete Einblicke zur Lage der Alternativen Medizin in den anderen Staaten der EG. Deutlich wird, daß die Bundesrepublik im Vergleich zu diesen über eine einzigartige Vielfalt an alternativen Therapieformen verfügt. Viele sind in anderen Ländern der EG unbekannt. Dies könnte bedeuten – so die Autoren –, daß Therapien im Zuge der sogenannten Harmonisierung entweder unbesehen europaweit übernommen oder aber ersatzlos gestrichen werden. Letzteres ist nach Meinung von Schlebusch, Scheiner und Wendling zu befürchten.

Obwohl, wie die Autoren vermerken, die regelmäßige Verwendung von Naturheilmitteln kontinuierlich gestiegen ist und selbst die europäische Kommission dies 1988 in einem Amtsblatt eingestanden hat, droht ihr nun die Rupfung. Die Anerkennung der Wirksamkeit dieser Medizin seitens der akademischen Kreise und die Anerkennung der Diplome und Ausbildungsgänge in den einzelnen Ländern scheinen für die EG schier unüberwindliche Barrieren darzustellen, weshalb niemand ernsthaft an einer Überwindung derselben arbeitet. Der träge Verwaltungsapparat, dem die Autoren übrigens ein eigenes Kapitel widmen, läßt grüßen. cb

Klaus-Peter Schlebusch, Hans-Christoph Scheiner, Peter Wendling: „Stiefkind in Brüssel: die Biologische Medizin“, Helix Verlag, 1992

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen